Die Akte
saß er auf der Bettkante, trank ein warmes Bier und starrte das Telefon an. Er würde bis Mitternacht warten, erklärte er sich selbst, und dann - ja, was dann?
Sie hatte gesagt, sie würde anrufen.
Er konnte ihr das Leben retten, wenn sie nur anrufen würde. Um Mitternacht warf er eine weitere Zeitschrift beiseite und verließ das Zimmer. Ein FBI-Agent in New Orleans hatte ihm ein bisschen geholfen und ihm ein paar von Jurastudenten frequentierte Lokale in der Nähe des Campus genannt. Er würde sie aufsuc hen und sich unter die Leute mischen, ein Bier trinken und zuhören. Die Studenten waren zu dem Spiel in die Stadt gekommen. Sie würde nicht da sein, und das machte nichts, weil er sie noch nie gesehen hatte. Aber vielleicht würde er etwas aufschnappen, und er konnte seinen Namen erwähnen, eine Karte hinterlassen, sich mit jemandem anfreunden, der sie kannte oder vielleicht einen ihrer Freunde. Die Chancen waren ziemlich gering, aber das war immer noch sinnvoller, als herumzusitzen und das Telefon anzustarren.
Er fand einen Platz an der Bar in einem Lokal, das Barrister’s hieß und nur drei Blocks vom Campus entfernt war. Es war auf sportlich getrimmt, mit Mannschaftsaufstellungen und Fotos von Footballspielern an den Wänden. Die Gäste waren laut und unter dreißig.
Der Barkeeper sah wie ein Student aus. Nach zwei Bier ging ein Teil der Gäste, und die Bar war halb leer. Gleich würde eine weitere Horde hereinkommen.
Verheek bestellte Nummer drei. Es war halb zwei. »Studieren Sie Jura?« fragte er den Barkeeper.
»Leider.«
»Ganz so schlimm ist es doch wohl nicht, oder?«
Er wischte um die Erdnüsse herum. »Es gibt Dinge, die mehr Spaß machen.«
Verheek sehnte sich nach den Barkeepern, die ihm während seiner Studentenzeit das Bier serviert hatten. Die wussten noch, wie man Konversation machte. Behandelten niemanden als Fremden. Redeten über alles mögliche.
»Ich bin Anwalt«, sagte Verheek leicht verzweifelt. Sieh mal einer an, der Bursche ist Anwalt. Was für ein seltener Vogel. Etwas ganz Besonderes. Der Junge verzog sich.
Kleiner Mistkerl. Ich hoffe, du fällst durch. Verheek nahm seine Flasche und drehte sich zu den Tischen um. Unter den jungen Leuten kam er sich vor wie ein Großvater. Obwohl er das Jurastudium und die Erinnerungen daran hasste, hatte es doch etliche lange Freitagnächte mit seinem Freund Callahan in den Bars von Georgetown gegeben. Das waren erfreuliche Erinnerungen.
»Auf welchem Gebiet?« Der Barkeeper war zurück. Gavin drehte sich zu ihm um und lächelte.
»Beratender Anwalt beim FBI.«
Er wischte immer noch. »Sie leben also in Washington.«
»Ja. Bin für das Spiel am Sonntag hergekommen. Ich bin ein Fan der Redskins.« Er hasste die Redskins und jede andere organisierte Football-Mannschaft. Er musste verhindern, dass der Junge nur noch von Football redete. »Wo studieren Sie?«
»Hier. Tulane. Im Mai werde ich fertig.«
»Und dann?«
»Wahrscheinlich Cincinnati für ein oder zwei Jahre Praktikum.«
»Sie müssen ein guter Student sein.«
Er tat es mit einem Achselzucken ab. »Wollen Sie noch ein Bier?«
»Nein. Haben Sie von Thomas Callahan gehört?«
»Klar. Kannten Sie ihn?«
»Wir haben zusammen in Georgetown studiert.« Verheek zog eine Visitenkarte aus der Tasche und gab sie dem Jungen. »Ich bin Gavin Verheek.« Der Junge betrachtete sie und legte sie dann anstandshalber neben das Eis. An der Bar herrschte Ruhe, und der Junge hatte das Geschwätz satt.
»Kennen Sie eine Studentin, die Darby Shaw heißt?«
Der Junge warf einen Blick auf die Tische. »Nein, ich kenne sie nicht persönlich, aber ich weiß, wer sie ist. Ich glaube, sie ist im zweiten Jahr.« Eine lange, ziemlich argwöhnische Pause. »Weshalb?«
»Wir müssen mit ihr reden.« Wir, wie FBI. Nicht einfach Ich, wie Gavin Verheek. Das »Wir« hörte sich wesentlich nachdrücklicher an. »Kommt sie öfters hierher?«
»Ich habe sie ein paar Mal gesehen. Sie ist ja auffallend genug.«
»Das habe ich gehört.« Gavin schaute zu den Tischen. »Glauben Sie, dass einer von den Leuten dort sie vielleicht kennt?«
»Das bezweifle ich. Sie sind alle im ersten Jahr. Hören Sie das nicht? Sie sitzen da und diskutie ren über Eigentumsrechte und Durchsuchung und Pfändung.«
Ja, genauso war es damals gewesen. Gavin holte ein Dutzend Karten aus seiner Tasche und legte sie auf die Bar. »Ich wohne für ein paar Tage im Hilton. Wenn Sie sie sehen oder irgend etwas hören, geben Sie dem
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