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Die Akte

Titel: Die Akte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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versuchte, gelassen zu erscheinen. »Es dauert nur eine Minute. Sie hat gesagt, es gäbe eine Tür, die durch irgendeine Wand geht. Mir wäre es lieber, wenn ich nicht die Vorder- oder Hintertür benutzen müsste.« Mrs. Chen runzelte die Stirn und ihre Augen fragten: »Weshalb nicht?« Aber sie sagte nichts.
    »Ist in den letzten zwei Tagen irgend jemand in der Wohnung gewesen?« fragte Alice. Sie folgte Mrs. Chen durch einen schmalen Korridor.
    »Ich habe niemanden gesehen. Gestern morgen, vor Sonnenaufgang, hat jemand geklopft, aber ich habe nicht nachgesehen, wer es war.« Sie schob einen Tisch vor einer Tür beiseite, steckte einen Schlüssel ins Schloss und öffnete sie.
    Alice trat vor sie. »Sie wollte, dass ich allein hineingehe, okay?« Mrs. Chen hätte selbst gern nachgesehen, aber sie nickte und machte die Tür hinter Alice zu. Sie führte auf einen winzigen Flur, in dem es stockfinster war. Links davon lag das Arbeitszimmer; da gab es einen Lichtschalter, den sie nicht benutzen durfte. Alice erstarrte in der Dunkelheit. Die Wohnung war dunkel und heiß und roch stickig nach altem Müll. Sie hatte damit gerechnet, allein zu sein, aber sie war schließlich eine Jurastudentin im zweiten Jahr und kein hartgesottener Privatdetektiv.
    Nimm dich zusammen. Sie tastete in ihrer großen Handtasche herum und fand eine bleistiftdünne Stablampe. Sie hatte drei davon. Für alle Fälle. Welche Fälle? Sie wusste es nicht. Darby hatte sich unmissverständlich ausgedrückt. Durch die Fenster durfte kein Licht zu sehen sein. Es konnte sein, dass sie das Haus beobachteten.
    Wer zum Teufel waren »sie«? Das hätte Alice gern gewusst. Darby wusste es auch nicht, sagte, sie würde es ihr später erklären, aber zuerst musste die Wohnung in Augenschein genommen werden.
    Im Laufe des letzten Jahres war Alice Dutzende von Malen in der Wohnung gewesen, aber da durfte sie durch die Vordertür eintreten, und alle Lichter waren eingeschaltet gewesen. Sie kannte alle Zimmer und war zuversichtlich gewesen, dass sie sich auch im Dunkeln zurechtfinden würde. Jetzt war die Zuversicht verschwunden. Verflogen. Und an ihre Stelle war zitternde Angst getreten.
    Nimm dich zusammen. Du bist allein. Sie würden sich hier nicht einnisten, nicht mit einer neugierigen Frau nebenan. Wenn sie wirklich hier gewesen waren, dann nur auf einen kurzen Besuch.
    Sie drückte auf den Schalterknopf und stellte fest, dass die Stablampe funktionierte. Sie entwickelte die Helligkeit eines verlöschenden Streichholzes. Sie richtete sie auf den Boden und sah einen schwachen Lichtkreis von der Größe einer kleinen Apfelsine. Der Kreis zitterte.
    Sie schlich auf Zehenspitzen um eine Ecke ins Arbeitszimmer. Darby hatte gesagt, dort stünde eine kleine Lampe auf dem Bücherregal neben dem Fernseher, die immer eingeschaltet war. Sie benutzte sie als Nachtlicht, und sie hätte eigentlich einen schwachen Lichtschein durch das Arbeitszimmer bis in die Küche werfen müssen. Entweder hatte Darby gelogen, oder die Birne war durchgebrannt. Oder jemand hatte sie herausgedreht. Aber das spielte in diesem Moment keine Rolle; das Arbeitszimmer und die Küche waren stockfinster.
    Sie war auf dem Teppich in der Mitte des Arbeitszimmers und näherte sich vorsichtig dem Küchentisch, auf dem ein Computer stehen sollte. Sie stieß gegen die Kante des Couchtisches, und die Stablampe erlosch. Sie schüttelte sie. Nichts. Sie fand Nummer zwei in ihrer Handtasche.
    In der Küche war der Geruch stärker. Der Computer stand auf dem Tisch, zusammen mit einer Kollektion leerer Aktenordner und einigen Nachschlagewerken. Sie untersuchte das Gerät mit Hilfe ihres jämmerlichen kleinen Lichtes. Der Schalter befand sich an der Vorderseite. Sie drückte darauf, und der Bildschirm des Monitors erwärmte sich langsam. Er gab ein grünliches Licht von sich, das den Tisch erhellte, aber nicht aus der Küche herausdrang.
    Alice setzte sich vor die Tastatur und begann zu tippen. Sie fand das Menü, dann die Textverarbeitung, dann die Dokumente. Das Inhaltsverzeichnis erschien auf dem Bildschirm. Sie las es genau. Es sollten an die vierzig Dokumente vorhanden sein, aber sie sah nicht mehr als zehn. Der größte Teil des gespeicherten Materials war verschwunden. Sie schaltete den Laserdrucker ein, und Sekunden später hatte sie das Inhaltsverzeichnis auf dem Papier. Sie steckte das Blatt in ihre Handtasche.
    Mit Hilfe der Taschenlampe inspizierte sie die Dinge, die um den Computer herumlagen. Darby

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