Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Lilianne ihn hören mussten. »Dein Platz, Gishild, ist auf der Bank, auf der deine Decke liegt. Geh jetzt schlafen.«
Sie funkelte ihn wütend an, aber sie wusste genau, dass weiterer Widerstand zwecklos war. »Wir alle sind doch Löwen«, wandte sie zaghaft ein. »Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Wir …«
»Versuch es nicht weiter«, sagte Alvarez kühl, und Gishild zog es vor, ihn nicht zu erzürnen. Schmollend zog sie sich zurück. Sie würde herausfinden, was in der Kiste war, schwor sie sich. Nicht in dieser Nacht, aber bald.
EIN SAFRANTRAUM
Alvarez betrachtete die mächtigen Rundtürme an der Hafeneinfahrt von Marcilla. Sie waren mit Kanonen vom schwersten Kaliber bestückt, die ein mörderisches Kreuzfeuer auf die Hafeneinfahrt legen konnten. Bald würde man all das nicht mehr brauchen. Jeden Tag betete der Kapitän darum, dass er das Ende des letzten Krieges noch miterleben würde. Den Beginn des neuen Zeitalters, in dem alle Königreiche unter dem Schutz der Tjuredkirche vereint waren und man die Elfen für immer aus der Welt der Menschen vertrieben hatte. Er würde der Kapitän eines Handelsschiffes sein. Und in Valloncour würden nicht Ritter, sondern Seefahrer und Wissenschaftler ausgebildet werden. Eine Welt in Frieden – das hatte er nie erlebt. Doch es war ihr Ziel, eine solche Welt Wirklichkeit werden zu lassen. Er war ein Romantiker, das war ihm klar. Und er sollte an andere Dinge denken. Aber immer wenn er nach Marcilla zurückkehrte, ergriff ihn ein Schmerz, den ein Seemann nie fühlen sollte. Sein Blick suchte dann die Kais ab. Und er wünschte sich, Mirella wiederzusehen.
Mehr als ein halbes Jahr war vergangen, seit er sie hierher
gebracht hatte. Er sollte sie längst vergessen haben. Eigentlich war sie zu dünn für seinen Geschmack gewesen. Und ihre eigenartige Marotte, immer ein Stirntuch zu tragen, hatte ihn auch verwundert. Aber nie zuvor war ihm eine Liebhaberin wie sie begegnet.
Er sah eine Frau in Safran am Kai beim Pulverturm. Sein Atem stockte. War sie es? »Das Glas, Juan!«
Der Hauptmann der Seesoldaten reichte ihm sein schweres Messingfernrohr. Alvarez hob es ans Auge und stellte es scharf. Aus dem verschwommenen Oval über den Safrangewändern wurde ein Gesicht. Der Kapitän seufzte. Es war eine andere.
»Du planst schon jetzt deine Nacht?«, spottete Lilianne.
Alvarez schob das Fernrohr zusammen. Er hätte sich nicht so gehen lassen dürfen! Auf dem Achterdeck waren die Schiffsoffiziere und seine Ritterbrüder und -schwestern versammelt. Man musste keine Adleraugen haben, um zu bemerken, wonach er Ausschau gehalten hatte. Er sollte die Sache offensiv angehen, wenn er sein Gesicht nicht verlieren wollte. Also drehte er sich um und setzte sein Piratenlächeln auf. »Möchte irgendjemand etwas über die Bordelle der Stadt wissen? Ich glaube, ich kenne sie alle. Wenn ihr so frei seid, mir eure besonderen Vorlieben zu nennen und zu verraten, wie viel Silber euch eine schöne Nacht wert ist, werde ich keinen von euch enttäuschen.«
Drustan sah ihn schockiert an. Michelle versuchte ein Lächeln, wirkte dabei aber verlegen. Einem Teil seiner Deckoffiziere war er ganz offensichtlich peinlich. Nur Juan, der Hauptmann der Seesoldaten, grinste unbefangen.
»Bekommt man für fünf Silbergroschen etwas Anständiges geboten?«, rief Luigi vom Steuer herüber. Er war ein erfahrener alter Seemann, Alvarez fuhr schon mehr als sieben
Jahre mit ihm. Es gab niemanden, dem er in einem schweren Sturm oder in tückischen Gewässern mehr vertraut hätte als Luigi.
Lilianne, die ehemalige Komturin Drusnas, brach in schallendes Gelächter aus. »Eine Hure bekommst du sicherlich für fünf Silbergroschen, aber Wunder sind ein bisschen teurer, alter Mann. Im Übrigen habe ich das Gefühl, unser Kapitän kennt sich bei den Kursen zu den Häfen der Safrandienerinnen so gut aus, dass er einen Teil der Liegegebühren bekommt, wenn fremde Schiffe einlaufen. Glaubt also nicht, dass ihr einen günstigen Kurs nehmt, wenn ihr ihm folgt.«
Juan konnte nicht mehr an sich halten und begann zu prusten. Sibelle, die junge Nautikerin an seiner Seite, wurde abwechselnd blass und rot und wäre augenscheinlich am liebsten im Boden versunken.
Alvarez fühlte sich entwaffnet. So war Lilianne. Frech und gut in allem, was sie tat. In ihrem letzten Jahr als Novizen waren sie einige Monde lang ein Paar gewesen. Auch jetzt teilten sie noch manchmal das Lager. Wahrscheinlich ahnte sie, dass er aus ganz
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