Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Silberschale getreten war, hatte sie die Hoffnung gehabt, dass sie die Städte deshalb nicht gesehen hatte, weil sie sich für andere Dinge interessierte.
Nun wusste sie, dass es nicht so war. Die Welt der Menschen geriet ihr zunehmend aus dem Blick. Woran das liegen mochte, war ihr ein Rätsel. War es das Werk der Priester? Verstanden sie es, sich vor dem Zauber der Silberschale zu schützen? Immerhin hatten sie auch gelernt, die Albensterne zu versiegeln und die Tore, die vom goldenen Netz in ihre Welt führten, zu schließen. Noch hatten sie nicht alle Tore aufgespürt, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es schafften, ihre Welt für immer den Kindern Albenmarks zu versperren. Alle Zukünfte, die Emerelle erblickt hatte, verhießen dies.
Und dabei nahmen sie die Magie aus ihrer Welt. Sie zerstörten sie in einem Maß, das ihnen vermutlich nicht einmal bewusst war. Beim Mordanschlag während Roxannes Krönungsfeier war solch ein Ort ohne Magie entstanden. Es war binnen eines einzigen Augenblicks geschehen. Auch während der Dreikönigsschlacht hatte es einen solchen Vorfall gegeben. Albenkinder, die sich an einem solchen Ort befanden, starben binnen eines Herzschlags. Sie alle waren zutiefst von Magie durchdrungen. Raubte man diese, dann raubte man ihnen auch das Leben.
Voller Zorn dachte Emerelle an ihre toten Hofdamen, wie sie hingestreckt in Roxannes Thronsaal gelegen hatten. Der Mordanschlag hatte ihr gegolten. Und den Rittern, die es getan hatten, war es gleich gewesen, wie viele sonst noch ihr Leben ließen.
Der Zorn verlieh der Königin neue Kraft. Sie griff nach der Magie des Albensterns zu ihren Füßen. Sie würde nach Vahan Calyd reisen, um die Flotte in Augenschein zu nehmen, die dort entstand. Und sie wollte Ollowain sehen, der so bald für immer gehen würde.
DIE ROTE UND DIE SCHWARZE EICHE
Eine eisige Böe kündigte den Regen an. Nur einen Augenblick später brach das Unwetter los. Die Welt verschwand hinter einem Silberschleier. Der Tritt der Soldaten ging im Rauschen des Wassers unter. Obwohl Lilianne nur zwei Schritt vom schützenden Baldachin am Heck der Galeasse entfernt stand, war sie bis auf die Haut durchnässt, als sie in den notdürftigen Schutz des Stoffdachs trat.
»Was geht hier vor sich?«, fragte Sibelle.
Die niederen Ränge der Ritterschaft waren sich nicht über das Ausmaß des Machtkampfes zwischen den beiden großen Orden im Klaren. Lilianne wusste, dass im verdeckten Streit um die Macht durchaus schon Blut geflossen war. Und nun schien der Orden vom Aschenbaum Oberwasser gewonnen zu haben.
»Unsere Ritterbrüder vom Aschenbaum wollen uns provozieren. Bitte bleibt ruhig, ganz gleich, was auch geschieht. Wir dürfen uns zu keinen unbedachten Handlungen verleiten lassen. Genau das ist ihre Absicht. Sie wollen den Streit zwischen unseren Orden weiter anfachen.«
»Und dazu scheut das feige Pack keine Mühen!«, murrte der alte Steuermann.
Sie alle sahen, was Luigi meinte. Der Regen hatte ein wenig an Heftigkeit nachgelassen und erlaubte den Blick auf eine Phalanx aus Waffenknechten auf dem Kai. Sie mussten dort unbeeindruckt vom Sturm Aufstellung genommen haben. Und als der Regen seinen Silberschleier lichtete, erschienen sie wie von Zauberhand. Arkebusiere in der weißen Livree des Ordens vom Aschenbaum, die schwarze Eiche auf
die linke Brust gestickt. Ihre schweren Waffen waren bei dem starken Regen unbrauchbar. Doch gab es auch Pikeniere mit Brustpanzern und hochgewölbten Helmen. Die Truppe, die der Orden vom Aschenbaum aufgeboten hatte, war eindrucksvoll. Mehr als dreihundert Mann waren am Landungssteg aufmarschiert, schätzte Lilianne. Und sie waren erstaunlich diszipliniert. Ohne mit der Wimper zu zucken, ertrugen sie den kalten Regen. Es gab kein Geschwätz. Niemand trat von einem Fuß auf den anderen. Dies waren eisern gedrillte Krieger, und sie waren stolz darauf.
Hufschlag erklang. Eine Schar Reiter, ganz in silbernen Stahl gewappnet, erreichte den Hafen. Der Anführer schwang sich aus dem Sattel und marschierte schneidig mit weit ausholenden Schritten den Landungssteg hinauf. Befehle wurden gebellt, und die durchnässten Krieger strafften sich.
Lilianne hatte den jungen Ritter, der nun an Bord kam, noch nie gesehen. Er trug einen Halbharnisch und dazu schwere Reitstiefel. Die schwarzweißen Federn auf seinem offenen Helm waren durch den schweren Regen ruiniert. Sie klebten an dem polierten Stahl. Die schwarze Eiche, sein Ordenssymbol, prangte in
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