Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Wappenschild erhalten. Er würde für immer das Schandmal des Ruders tragen – ein Zeichen dafür, innerhalb eines Jahres kein Spiel im Buhurt gewonnen zu haben. Gishild war sich sicher, dass Leon und die anderen Magister bis zu ihrer Rückkehr einen Weg finden würden, ihnen den letzten Sieg, ihren einzigen Sieg, abzuerkennen.
Gishild richtete sich auf der Ruderbank auf. Eine Decke auf einem schmalen Holzbrett, das war ihr Schlaflager. Aber im Augenblick konnte sie keine Ruhe finden. Zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Immer wieder musste sie an die Küsse auf der Steilklippe denken. Drei Tage waren seitdem vergangen. Jedes Mal, wenn sie sich daran erinnerte, glaubte sie Lucs Lippen spüren zu können. Und sie roch den Duft des Meeres in seinem Haar. Und auch den seines Schweißes. Luc roch immer gut, selbst wenn er schwitzte. Ganz im Gegensatz zu Joaquino oder Raffael. Ihnen haftete eine säuerliche Duftnote an, die sie nicht mochte.
Gishild seufzte und stand auf. Ihre Gedanken sollten in Firnstayn sein, bei ihren Eltern und bei Silwyna. Aber irgendwie schafften es die Ritter, sogar ihre Gedanken gefangen zu nehmen! Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang blieb kaum einen Atemzug lang Zeit. Sie mussten fechten und an den verbliebenen Schiffsgeschützen üben.
Schon am Tag nach dem Unfall hatte Kapitän Alvarez sie alle wieder an die Kanonen befohlen, damit sie keine Angst vor den schweren Geschützen entwickelten. Hin und wieder explodierten Kanonen, so etwas geschah. Damit musste man sich abfinden, hatte Drustan erklärt. Das war Tjureds Wille.
Gishild kletterte hinauf zum breiten Laufsteg, der sich über die Ruderbänke erhob.
Die Rahen knarrten leise unter dem Druck der Segel. Stetiger Westwind trieb das große Schiff voran. Steuerbord lehnte eine Wache an der Reling und nickte ihr kurz zu. Misstönendes Schnarchen erklang von den Ruderbänken. Gishild stieg über einen schlafenden Ritter hinweg. Es gab zwar einige Hängematten unter Deck, aber in den lauen Sommernächten schliefen die meisten Seesoldaten und Ritter lieber an der frischen Luft als in ihrem stickigen Quartier.
Dicht vor dem Kapitänszelt am Heck lehnte Alvarez auf dem großen Steuerruder. In seinem Mundwinkel hing eine langstielige Pfeife. Außer ihm schien niemand mehr wach zu sein. Es war wohl sehr spät, denn üblicherweise saßen die Männer und Frauen der Mannschaft noch lange beisammen, redeten, würfelten oder tauschten verstohlen Küsse und intimere Zärtlichkeiten. Es war schwer, an Bord der Galeasse ein Paar zu sein. Hier gab es kaum heimliche Winkel. Was immer geschah, es geschah unter den Augen aller an Bord. Außer in den Stunden kurz vor Morgengrauen. So wie jetzt.
Gishild schritt weiter über die Schlafenden in Richtung Heck. Sie bewegte sich lautlos, so wie sie es von Silwyna gelernt hatte. Als sie eine rothaarige Ritterin in den Armen des Geschützmeisters liegen sah, musste sie lächeln. Die Frau hatte sich eng an den tätowierten Leib geschmiegt. Ob sie wohl eines Tages so an der Seite Lucs schlafen würde?, fragte sich Gishild. Wie es wohl war, selbst im Schlaf die Nähe eines anderen zu spüren? Bestimmt war das ein gutes Gefühl.
Alvarez winkte ihr zu. Sie gesellte sich zu dem Kapitän. Eine Weile standen sie in einvernehmlichem Schweigen beieinander.
Dann hörte Gishild die Stimmen. Sie kamen aus dem Kapitänszelt. Drustan und Lilianne sprachen leise miteinander.
»Er wird eingehen, wenn du ihn nicht fliegen lässt. Er ist nicht krank, nicht wirklich. Es ist diese verdammte Kiste.«
Das war unverkennbar die Stimme ihres Magisters.
»Sein rechter Flügel ist verkümmert. Er wird nie wieder fliegen können. Es sei denn, du heilst ihn.«
»Das geht nicht so einfach, wie du denkst!«, entgegnete Drustan ärgerlich. »Ich könnte seinen Flügel noch einmal brechen und ihm eine Schiene anlegen. Vielleicht hilft das.«
»Er wird dir die Finger zerfleischen, wenn du das versuchst. «
»Ich hatte nicht vor, ihn dabei festzuhalten. Das wäre deine Aufgabe.«
»Ich glaube, es ist unhöflich zu lauschen«, sagte der Kapitän leise.
»Aber du bist doch auch hier«, entgegnete Gishild. Seit sie zum ersten Mal die seltsame Kiste gesehen hatte, die Lilianne überallhin mit sich führte, hatte sie einen Verdacht. Bisher war es nur eine verzweifelte Hoffnung gewesen. Aber jetzt …
»Der Unterschied ist, dass die beiden wissen, dass ich hier bin, denn mein Platz ist am Ruder.« Er sagte das so laut, dass Drustan und
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