Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
nach, dann schüttelte sie ärgerlich den Kopf. »Was redest du da, Mutter? Ich soll den Schatten der Vergangenheit entfliehen, aber mich den alten Traditionen beugen? Wie soll das zusammengehen? Deine Argumentation ist ohne Logik!«
»Mich hat kein Tjuredpriester Rhetorik gelehrt. Wenn ich spreche, dann spricht mein Herz und kein kalter Verstand. Ich weiß, du hast in Valloncour einen Liebsten gehabt. Und du magst ihn nicht aufgeben … Weil die Götter dir gnädig sind, stellen die Jarls keine Fragen. Sie denken, du seiest bei den Elfen gewesen. Nur so können sie sich all deine Gaben erklären. Aber sie werden irgendwann anfangen, Fragen zu stellen, wenn du ihre Erwartungen nicht erfüllst. Was in Valloncour war, ist tot! Dieser Teil deiner Vergangenheit ist
abgeschlossen. Befreie dich von ihm!« Roxanne sagte das beinahe flehentlich. »Ich will nur dein Bestes. Glaube mir, ich weiß, was es heißt, einen Traum zu leben, der keine Erfüllung finden kann. So lange habe ich auf deinen Vater gewartet. Mich vor dem Offensichtlichen verschlossen. Ich hätte wissen müssen, dass er dem Fjordland nicht so lange ferngeblieben wäre. Nicht einmal für dich, Gishild. Er war den Traditionen verhaftet. Sie sind etwas Lebendiges! Sie formen das Leben in diesem Land, sie sind der Leitfaden für die Menschen. Du musst dich ihnen anpassen, oder du wirst ihnen bald so fremd sein wie die Tjuredpriester, die dich erzogen haben. Wenn du das nicht kannst, dann ist das Fjordland nicht der Ort, an dem du leben solltest. Bist du nicht bereit, dies zu respektieren, dann werde ich den Thron wieder einnehmen.«
Gishild sah sie überrascht an. »Das würdest du nicht tun!«
Roxanne hielt ihrem Blick stand. »Ich weiß, ich bin hier nicht geboren. Ich bin die Fremde, die dein Vater hierher brachte. Die, über die man sich vom ersten Tag an das Maul zerreißt. Auch wenn sie flüstern, ich kenne die Geschichten alle. Aber, Gishild, ich achte die Traditionen dieses Landes. Ich richte mein Leben nach ihnen aus. Und wenn du das nicht kannst, dann bist du hier viel fremder als ich, auch wenn du in dieser Burg geboren wurdest.«
Die Prinzessin räusperte sich. Lange hatte ihr niemand mehr so deutlich die Meinung gesagt.
»Nun geh hinab in die Festhalle, Tochter, und stelle dich! Deine Jarls erwarten dich. Erwache aus deinem Traum von Valloncour, denn mehr war es nicht. Geh hinab und mache deinen Vater stolz. Sei eine wahre Königin. Sei besser als ich!«
Gishild erhob sich. Sie sah ihre Mutter nicht mehr an. Sie hielt sich sehr gerade, als sie zur Tür ging. Vor der Kammer erwartete sie Sigurd mit einer Ehrenwache der Mandriden. Sie geleiteten sie über den Hof. Der Schnee knirschte unter ihren schweren Stiefeln. Gishild trug eine kurze Jacke aus Silberfuchsfellen, dazu Reithosen und Stiefel und ein Seidenhemd aus Albenmark. Ihr Haar war offen. Wie ein roter Umhang lag es auf dem Pelz. Sie war zu dünn für den Geschmack der meisten Männer. Sie war zu aufsässig. Zu kriegerisch. War zu lange bei den Elfen gewesen. Mit jedem Schritt in Richtung der Halle wurde sie zuversichtlicher. Als die weiten Tore sich vor ihr öffneten, lächelte sie.
Lange hatte die große Halle nicht mehr so viele Gäste gesehen, Jarls und mächtige Handelsherren, Krieger und Kapitäne. Wer immer einen Rang hatte, der es ihm erlaubte, die königliche Halle zu betreten, war erschienen.
Als sie durch das Tor trat, verstummten schlagartig die Gespräche der Nächststehenden. Und binnen drei Herzschlägen breitete sich das Schweigen gleich einer Welle bis in den fernsten Winkel der Halle aus. Die Männer drängten sich dichter zusammen. Eine Gasse bildete sich in ihrer Mitte, und Gishild schritt zum Thron. Einigen Kampfgefährten aus Drusna nickte sie knapp zu.
Ollowain und Yulivee standen zur Linken hinter dem Thron, Sigurd trat auf die andere Seite.
Gishild ließ sich nicht nieder. Sie blickte hinab auf die versammelten Würdenträger. Viele der Männer wichen ihrem Blick aus. Endlich brach sie das Schweigen. »Die Jarls des Fjordlands haben mich gebeten, in dieser Nacht vor sie zu treten. Hier bin ich nun.« Sie stemmte die Hände in die Hüften, reckte stolz das Kinn vor und blickte herausfordernd hinab.
Der blaue Rauch der Feuergruben hing unter der Decke der Halle und brannte in den Augen. Es duftete nach Fichtenzweigen, die man am frühen Abend verbrannt hatte, um böse Geister zu bannen. Der süßliche Geruch von Met wetteiferte mit dem säuerlichen Gestank
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