Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
schob sich vor sie und klopfte dreimal. Miss Temple wandte sich ab und betupfte ihre Augen. Die Tür öffnete sich, und Maries verängstigtes Gesicht tauchte auf.
»Oh, oh Herrin …«
Miss Temple ging an ihr vorbei – sie wollte einfach allein sein. »Ich brauche Wäsche und frische Kleider und Abendessen und Tee – vor allem starken heißen Tee …«
»Herrin …«
»Es geht mir bestens, das versichere ich Dir. Ich … ich …« Miss Temple umklammerte Rogers Notizbuch und suchte nach Worten. »Marie, Corporal Brine …«
Pfaff legte Marie beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Briney geht es gut, Marie – er ist bei den anderen und lässt Grüße ausrichten – wie wäre es mit Tee?«
»Aber … aber … Herrin …«
Miss Temple, die dankbar war für Pfaffs Eingreifen, setzte ihren Weg fort, als habe sie nichts gehört. Mit drei Schritten war sie in ihrem Schlafzimmer, schloss die Tür und drehte den Schlüssel herum. Sie legte Rogers Notizbuch auf einen Beistelltisch … und erstarrte.
Die Contessa di Lacquer-Sforza saß auf Miss Temples Bett, und ihre Zigarettenspitze glühte wie ein chinesisches Räucherstäbchen. Sie lächelte nicht.
»Wieder einmal hindern mich die Umstände daran, Sie zu töten.« Die Contessa nahm genüsslich einen Zug von ihrer Zigarette und stieß dann aus dem Mundwinkel eine blaue Rauchfahne aus. »Sie sehen wie eine Vogelscheuche aus.«
Miss Temple wich zu ihrem Schreibtisch zurück. Lag in der Schublade eine Schere?
»Ist Mr. Pfaff Ihr Geschöpf?« Ihre Stimme brach. Beschämt zwang sie sich, leiser zu sprechen. »Ich habe keine Narben um seine Augen gesehen.«
»Nicht jeder muss den Prozess durchlaufen … tatsächlich fast niemand.«
»Aber er … ich habe wochenlang …«
Die Contessa seufzte. »Verstehen Sie noch immer nicht? Die Crème de la Crème dieser Stadt sehnte sich danach, für die Maschinen des Comte auserwählt zu werden. Für dieses Privileg haben sie sich gegenseitig wie Katzen zerkratzt. Unterwerfung unter den Mächtigen ist eine simple Sache – man muss einfach eine Mode daraus machen.«
»Mr. Pfaff ist nicht gerade das, was man sich unter der Crème vorstellt.«
»Er gehört sich selbst. Genug – Sie können nicht herumlaufen, als wären Sie in einem Kuhstall ausgerutscht.« Miss Temple wandte sich zur Tür. »Rufen Sie nicht Ihr Dienstmädchen. Man hat es fortgeschickt.«
»Fortgeschickt?«
»Tee zu holen oder mit einem gebrochenen Kiefer zum Arzt – ich habe keine Ahnung. Wir werden Sie hübsch herrichten und ohne Zwischenfall weggehen und auch ohne dass es jemand bemerkt.«
»Ich rühre mich nicht von der Stelle.«
Die Contessa hob ihre Stimme und bellte: »Mr. Pfaff!«
Sogleich erfolgte ein lauter Aufschrei hinter der Tür, der eindeutig von Marie stammte. Miss Temple fuhr herum.
Verärgert sagte die Contessa: »Sie können nichts tun, um ihr zu helfen, außer zu gehorchen.« Sie zog die Zigarette aus der Spitze, ließ den Stummel zu Boden fallen und trat ihn im Aufstehen aus.
»Wohin gehen wir?«
»Nirgends, bevor Sie sich nicht umgezogen haben, Celeste.« Die Contessa lächelte das erste Mal. »Danach erfahren Sie alles. Zuerst müssen Sie jedoch wenigstens den Anschein von Zivilisiertheit wahren.«
Die Finger der Frau zerrten an der Rückseite ihres Kleids, und jede Berührung zerrte an Miss Temples Nerven. Sie hatte im Zollhaus gekämpft und versucht, Vandaariff in seiner Kutsche zu erwürgen, doch jetzt stand sie einfach nur da.
Die Contessa schob Miss Temple das Kleid von den Schultern und zog dann die Ärmel über ihre Hände wie ein Magier, der zwei Schals aus dem Hut zaubert. Nachdem sie ihr das Kleid herabgezerrt hatte, trat Miss Temple gehorsam aus dem Haufen Stoff.
»Was ist mit Ihrem Arm passiert?«
»Herumfliegendes Glas hat mir Schnittwunden zugefügt. Im Zollhaus.«
»Und waren Sie tapfer?« Ohne Eile fuhr die Contessa mit einer Hand über die Rundung von Miss Temples Hüften.
»Warum sind Sie hier?«, wimmerte sie.
»Ich sollte lieber fragen, warum Sie hier sind«, sagte die Contessa.
»Das hier ist mein Zimmer.«
»Ich dachte, es gehört dem Zuckerhändler und Sklavenhalter.«
»Wem gehört dann Ihre Suite im Royale – Schönheit?«
Miss Temple schrie auf, als ihr die Contessa mit der streichelnden Hand so fest auf den Hintern schlug, dass sie einen Abdruck hinterließ. Die Contessa ging zum Schrank. Miss Temple holte das Seidentaschentuch des Comte aus dem Korsett, hatte jedoch nicht genug Zeit, die
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