Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
hätte sie tagelang nicht geschlafen. Sie rollte sich auf der Seite zusammen, aber trotz ihrer Erschöpfung brachte die Einsamkeit Miss Temple bloß so weit, nur noch zorniger zu werden …
Als sie auf Mr. Harcourt und die Palastwachen getroffen waren, hatte Chang ihre Hand ergriffen. Sie hatten auf ihrer Flucht nicht gesprochen, aber dann führte sie ein leichtsinniges Abbiegen nach links in einen Raum ohne Ausgang, und Zeit zum Umkehren hatten sie nicht.
»Der Schrank«, zischte er und stieß sie auf ihn zu. Chang selbst rannte zu einem Schreibtisch und zerrte ihn unter das einzige hohe Fenster im Raum.
»Wohin wollen Sie?«
»Klettern Sie in den Schrank!«
Chang sprang auf den Tisch und öffnete das Fenster. Glaubte er etwa, den Verfolgern entkommen zu können? Er beugte sich bis zur Taille hinaus und warf eine Handvoll Blätter vom Schreibtisch in die Luft.
»Ich lege eine Spur«, sagte er und sprang herunter. »Der Sims ist breit und das Dach flach – warum sind Sie nicht in dem verdammten Schrank?«
Chang riss ihn auf und scheuchte sie zwischen die Kleidungsstücke.
»Da ist kein Platz!«
An der Rückseite des Schranks befanden sich Haken, an denen Mäntel hingen, und Chang schob sie neben sie. Dann klappten die Türen zu, und Chang war bei ihr, Gliedmaßen verschränkt und die Körper aneinandergepresst. Chang drückte ihren Arm, und seine Worte waren leise wie ein Seufzen.
»Sie sind hier.«
Miss Temple hörte nichts. Es war ihr gelungen, das Gleichgewicht wiederzufinden, und sie hielt sich im Dunkeln an Changs Gürtel fest. Chang hatte sich ein wenig gedreht, um sein Gewicht zu verlagern, und er hatte ein Knie angezogen und sanft zwischen ihre Beine geschoben. Sie wurde zunehmend unruhiger.
Von draußen war das Knarzen von Bodendielen zu hören – jemand stieg auf den Schreibtisch. Sie klammerte sich fester an ihn. Am liebsten hätte sie sich vorgebeugt und ihn auf den Mund geküsst. Stattdessen ließ sie ihren Körper auf sein festes Knie sinken und biss sich auf die Lippe, damit sie nicht laut wurde.
Ein zweiter Schauer überlief sie, als sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. »Haben Sie keine Angst …«
Sie hätte beinahe laut gelacht. Er hielt ihr Zittern für Angst. Sie drückte seine Hand. Es wäre so einfach, sie auf ihre Brust zu schieben.
Die Schranktür wurde geöffnet. Die Kleidungsstücke hingen dicht nebeneinander. Sie erstarrte beim Tschock eines Messers, das über ihrem Kopf in den Schrank fuhr. Ein weiterer Stoß, neben ihrer Hand – Tschock! – und dann ein dritter, bei dem sich das Messer direkt zwischen ihnen in die Wand bohrte. Die Klinge wurde herausgezogen und die Schranktür zugeschlagen.
Sie warteten. Miss Temple war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Chang tätschelte ihre Hand. Sie wiegte ihren Körper noch einmal auf sinnliche Weise hin und her, bevor er vorsichtig hinauskletterte.
»Sie sind weg.«
Sie schob die Mäntel beiseite und spürte die Hitze im Gesicht. Er streckte die Hand nach ihr aus, um sie herauszuziehen. Sie sah ihn nicht an.
Miss Temple öffnete die Augen. Sie sprang auf, denn sie war sicher, ein metallisches Klirren gehört zu haben.
Jemand tastete mit einem Schlüssel am Schloss, schob ihn hinein und drehte ihn um. Miss Temple schlich zur Wand. Die Tür schwang nach innen auf. Sie würde so fest wie möglich zutreten, durch die Tür springen …
»Ich weiß, dass Sie da sind. Versuchen Sie nicht, mir den Schädel einzuschlagen.«
Sie kannte die Stimme. »Mr. Pfaff?«
Jack Pfaff spähte um die Tür herum. »Stets zu Ihren Diensten.«
Miss Temple riss sich zusammen, um sich nicht in seine Arme zu werfen, und gab sich damit zufrieden, ihm ihre noch immer gefesselten Handgelenke entgegenzustrecken. Pfaff zückte ein Messer und lächelte, als die Fesseln nachgaben. Miss Temple rieb sich die sichtbar roten Stellen, aber Pfaff legte selbst seine Hände darauf und rieb sie.
»Was haben sie mit Ihnen gemacht? Und erst Ihr Arm!«
»Es ist nichts.« Sie zog ihre Hände weg, beunruhigt von dem nachklingenden Verlangen aus ihrem Traum. »Wo sind Sie gewesen? Woher haben Sie einen Schlüssel zu diesem schrecklichen Gefängnis? Wer hat Ihnen gesagt, dass ich hier bin?«
»Erst einmal bringen wir Sie in Sicherheit.« Pfaff packte Miss Temple an ihrem unverletzten Arm. »Können Sie gehen?«
»Und ob ich das kann.« Trotz eines stechenden Schmerzes raffte sie ihr Kleid mit beiden Händen. »Aber beantworten Sie meine Fragen, während wir
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