Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
hatte der zukünftige Kronminister einen Großteil seiner ersten vierzig Jahre in Gesellschaft von Pferden zugebracht (sogar seine Vorliebe für Bühnenschauspielerinnen wurde großzügig von der Öffentlichkeit toleriert, da sich diese Begegnungen tatsächlich auf das Reiten von Pferderücken beschränkten).
Nach Erlangung seines Titels und dem Eintritt in die Politik hatte sich Lord Axewith eine Frau genommen, die ihm im Gegenzug gehorsam regelmäßig Kinder geschenkt hatte – sieben in beinahe genauso vielen Jahren, von denen vier überlebten. Und zu ihrem Kummer war seine von Kindern besessene Gemahlin nun zur First Lady des Landes geworden.
Chang konnte sich die vielen Schmeicheleien vorstellen, die der Frau des neuen Kronministers zuteilwurden und die gleichermaßen Einbeziehung und Ausgrenzung mit sich brachten. Die Contessa di Lacquer-Sforza konnte kaum bessere Umstände vorgefunden haben, um sich ihr Vertrauen zu erschleichen; weil sie für irgendwelche ernsthaften Belange am Hof zu unbedeutend war, würde sie wie die verlässlichste Person erscheinen, der sich Lady Axewith anvertrauen konnte …
Drinnen standen zwei weitere Gardesoldaten. Ein Butler mit einem winzigen Silbertablett näherte sich.
»Ich habe keine Karte«, teilte Chang ihm mit. »Monsignore Luficera, der Erzbischof schickt mich – Lady Axewith weiß, wer ich bin.«
Der Butler zeigte auf einen großzügigen Empfangsraum. Changs Blick fiel auf eine gepolsterte Chaiselongue. Die Aussicht, sich darauf auszustrecken, zog wie ein schmerzender Zahn. Er schüttelte den Kopf.
»Zweifellos kommen viele Besucher, um Lady Axewith zu bitten, bei ihrem Mann ein gutes Wort für sie einzulegen. Ich komme zur Lady selbst, in einer höchst vertraulichen und – Sie verstehen – intimen Angelegenheit.«
Das Wort hing in der Luft, und Chang fragte sich, ob er nicht zu weit gegangen war. Eine »intime Angelegenheit« hatte zuallererst den Ruch eines Skandals.
»Vom Erzbischof?«, fragte der Butler.
Chang nickte ernst. Der Butler glitt davon, als würde er seine Beine nicht bewegen.
Chang stand stumm neben den Wachen. Die soliden Mauern hätten den Knall eines Pistolenschusses verschluckt. Er fragte sich, ob die Möblierung der glich, die Celeste Temple sich für ihr Haus mit Roger Bascombe vorgestellt hatte. Ein Haus war der Ort, an dem die gesellschaftlichen Ambitionen einer jungen Frau ablesbar waren. Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass Celeste schon gut damit beschäftigt gewesen sein musste, bevor Bascombe mit ihrer Verbindung Ernst gemacht hatte. Enthielt ihr Schreibtisch im Boniface noch immer diese Listen, die Anfragen bei Händlern, oder hatte sie sie verbrannt, beschämt von solchen Verzeichnissen überlebter Wünsche?
Der Butler kehrte zurück, und seine Stimme klang warm wie alter Bernstein. »Wenn Sie mir folgen würden.«
Kardinal Chang war von wohlhabenden Klienten angeheuert worden, jedoch grundsätzlich durch die Vermittlung Dritter. Seine Anwesenheit in einem eleganten Heim ergab sich normalerweise durch ein aufgebrochenes Schloss oder ein unbewachtes Fenster – was bedeutete, dass Changs Erfahrungen im Umgang mit wohlerzogenen Damen extrem begrenzt waren. Er wusste, dass es bestimmte Regeln gab, die streng eingehalten werden mussten; doch als er das Foyer des Axewith House betrat, um die Gattin des neuen Vorsitzenden des Kronrats zu besuchen, hätte er genauso gut die Kaiserin von Japan besuchen können.
»Er hat den Zeitungen gesagt, dass die Züge wegen der Rebellen nicht hielten. Aber in seinem Tagebuch steht etwas anderes. Tatsächlich ist die gesamte Verbindung von Raaxfall bis Orange Canal …«
Bei Changs Eintritt verstummte die Sprecherin. Er erkannte das Kleid und das Haar – es war die Dame, die vor ihm das Tor durchschritten hatte –, aber ihr Gesicht war wie das der anderen acht Damen im Raum von Tüll verdeckt. Noch wichtiger war, dass trotz des klatschsüchtigen Tonfalls Chang das deutliche Gefühl hatte, einen förmlichen Bericht zu unterbrechen.
Der Butler murmelte eine kurze Vorstellung und verschwand. Die Damen erweckten nicht den Eindruck, als fühlten sie sich gestört. Chang verbeugte sich respektvoll. Er wusste nicht, wie Lady Axewith aussah.
»Wie freundlich von Ihnen, Monsignore, uns zu besuchen.« Es war eine Frau zu seiner Linken, aus deren eng anliegenden Satinärmeln dicke Unterarme hervorschauten. »Ich erinnere mich nicht, Sie im Gefolge des Erzbischofs gesehen zu haben, auch wenn man sich an
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