Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
wieder war die junge Miss Temple von einem Abendessen oder Mittagessen oder einer Tanzveranstaltung heimgekehrt, verletzt von versteckten, herablassenden Seitenhieben, kleinen Siegen, die von sämtlichen Anwesenden sehr wohl registriert worden waren.
Doch dann war eines Tages etwas geschehen – großartig, kostbar, ein Juwel. Der Anlass war eigentlich banal gewesen: ein Glas Orangenmarmelade vom Koch der Hobarts. Die Frucht war grob geschnitten, und die Stücke ragten glänzend auf dem Löffel empor. Auf Miss Temples Bedenken hin hatte Cynthia laut ihre Vorliebe für feste Fruchtstückchen in Orangenmarmelade verkündet, eine Meinung, die von keinem Geringeren als dem Vizekönig von Jamaika geteilt wurde – der natürlich jedem bekannt sein sollte. Doch Miss Temple, die Backwaren und Marmeladen große Bedeutung beimaß, wusste, dass sich der Sirup umso besser mit dem Saft mischte, je feiner die Frucht geschnitten war. Während sie im Abstrakten durchaus nichts gegen Unterschiede im Geschmack hatte, betrachtete sie Vielfalt jedoch nicht als ausreichende Rechtfertigung – und wenn der Vizekönig von Jamaika das anders sehen sollte, dann war er ein Amateur mit einer ledernen Zunge. Wichtiger war jedoch, dass sie wusste, dass Cynthia unrecht und – da ihre Überzeugungen nur Miss Temple widersprechen sollten – auch nicht die geringste Ahnung hatte.
Als sich Cynthia nach Verkündigung der vizeköniglichen Meinung mit dem üblichen höhnischen Grinsen abwandte, lachte Miss Temple schallend, anstatt sich in Schweigen zu hüllen. Es klang gekünstelt und spöttisch und passte eher zu einem plumpen Aufschneider als zu einer Dame. Angesichts dieser Dreistigkeit verstummte der gesamte Tisch schlagartig – und dieses Schweigen provozierte Miss Temple zu einem weiteren Triumphgeheul. Miss Hobart hatte ihr nie wieder Ärger bereitet, auch wenn das arme Ding es versucht hatte. Miss Temple hatte in das Herz der Rivalin geblickt und zu ihrer großen Befriedigung festgestellt, dass es schwach war.
Sie war nicht naiv genug zu glauben, dass bloße Verachtung Mr. Schoepfils Einfluss schwächen könnte, war sich jedoch sicher, dass eine grundlegende Ähnlichkeit bestand. Obwohl Schoepfil den Eindruck erweckte, fünf Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten, entging ihr nicht, dass er die ganze Zeit zögerte, klar zu äußern, was er eigentlich von ihr wissen wollte. Diese Überzeugung war nicht logisch begründet, doch selbst wenn Schoepfil die Glaskarten betrachtete, kam es ihr wie eine Inszenierung vor – mit der er, anstatt Fragen zur Alchemie des Comte zu stellen, Miss Temple dazu veranlassen wollte, ihm selbst Fragen zu stellen, Fragen, die ihr Wissen enthüllten – in diesem Fall vielleicht über den Verbleib der fehlenden Karte.
»Was für eine Farbe«, stellte Schoepfil fest. »Was für ein Leuchten. Ich schätze, Sie haben so etwas noch nie gesehen.«
Er nahm eine Karte heraus, damit Miss Temple sie betrachten konnte.
»Warum ist sie grün?«, fragte sie.
»Raten Sie doch mal.« Er hob eine Braue.
»Ich nehme an, es sind Smaragde.«
»Ziemlich kostspielig, meinen Sie nicht? Zudem …« Er hielt sie höher, sodass das Licht hindurchfiel. »Die eigentliche Farbe ist eher gelb …«
»Dann handelt es sich wohl um getrocknete Zitronenschale, da Zitronen billiger sind als Smaragde.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Seine Stimme hatte einen scharfen Unterton, wenn auch nicht genau wie bei Cynthia Hobart, aber sie machte weiter.
»Wie sollte eine Marionette dazu imstande sein?«
»Sind Sie auch nicht. Also werden Sie mir erzählen, was Sie über diese Glaskarten wissen.«
»Ich weiß gar nichts.«
»Ich glaube doch.«
»Vielleicht sollten Sie die Contessa fragen.«
»Vielleicht habe ich das bereits getan.«
Die Drohung, dass er die Contessa seinem Willen unterworfen hatte, hing in der Luft. Doch Miss Temple hatte nicht viel für Drohungen übrig – was daran lag, dass sie sich Drohungen zu Herzen nahm, und immer wenn etwas ihr Herz berührte, reagierte sie entsprechend verärgert.
»Na gut, ich werde Ihnen Folgendes sagen.« Sie hielt inne und erlaubte ihm ein erwartungsvolles Grinsen. »Wenn Sie der Mann sind, der Francesca Trapping aufgeschnitten hat, werde ich Sie zur Nummer fünf machen.«
Angesichts der unverblümten Drohung fuhr Schoepfils Kopf ruckartig zurück. Er klappte den Kasten zu. »Mr. Kelling!«
Kelling steckte den Kopf herein. Schoepfils Lächeln war verschwunden, und sein
Weitere Kostenlose Bücher