Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
Flure entlangzugehen. Dann nahm sie allen Mut zusammen und sprach ein junges Dienstmädchen an, das ein zugedecktes Tablett trug.
»Verzeihen Sie bitte. Ich bin auf der Suche nach Mr. Schoepfil.«
Das Mädchen entschuldigte sich, dass sie den Gentleman nicht kenne.
»Vielleicht ist er bei Colonel Bronque.«
Wieder wusste das Mädchen von nichts. Miss Temple wartete, bis zwei ältere Damen vorbeigegangen waren, weil sie das Unbehagen des Mädchens in deren Anwesenheit spürte.
»Sie werden in Ihrem eigenen Gebäudeteil sein, in der Nähe des Spiegelsaals«, erklärte sie. »Da hat wahrscheinlich niemand sonst Zutritt.«
Das Mädchen formte ein wissendes ›Oh‹. »Geht es um … die Lady ?«
»Ganz richtig«, vertraute ihr Miss Temple an. »Und sie benötigt diese Handtücher sofort.«
Ziemlich stolz auf sich selbst folgte Miss Temple dem Mädchen, das sie erleichtert zu einem weiteren Dienstbotenflur führte, vorbei an verschlossenen Türen und verdeckten Sehschlitzen. Als sie die richtige Tür erreicht hatten – die siebte, nachdem sie abgebogen waren, außerdem gelb gestrichen –, legte sie zufrieden die Handtücher ab und stellte sich auf die Zehenspitzen, um durch den Sehschlitz zu blicken.
Mr. Schoepfil saß an einem Tisch voller Papierstapel und Bücher. Die Wände um ihn herum waren mit Plänen und Diagrammen bedeckt, darüber hinaus mit drei dicht bekritzelten Vierecken aus Leinwand, die aus der Entfernung Motive bildeten – Blumen, eine Maske und zwei verschränkte Hände. Mr. Schoepfil blätterte ungeduldig die Seiten eines alten Buchs um, bis er es nach vergeblicher Suche zuklappte. Er saß still da, die Augen geschlossen, während sich seine Lippen bewegten, wie um sich selbst zu beruhigen … dann erhob er sich, ging zur gegenüberliegenden Tür und verließ den Raum. Miss Temple öffnete die Dienstbotentür und schlich hinein.
Als Erstes ging sie zu der gegenüberliegenden Tür und klemmte Schoepfils Stuhl unter die Klinke. Drei ganze Tage hätten nicht genügt, um alles durchzugehen, was der kleine Raum enthielt. Neben den Büchern lagen bedruckte Seiten – Zeitungen und Zeitschriften in zahlreichen Sprachen – und dicke Stapel handschriftlicher Notizen. Die Schriften verrieten, dass jeder Stapel von einer anderen Hand stammte. Sie erkannte Notizen von Doktor Lorenz, andere von Mr. Gray und Marcus Fochtmann. Mindestens sieben Stapel stammten vom Comte persönlich, Notizen und Diagramme und nicht entzifferbare Formeln. An den Wänden hingen Pläne vom Polksvarte District (Tarr Village und sein Steinbruch waren mit Nadeln markiert), vom Herzogtum Mecklenburg, den Städten Wien und Cadiz und schließlich ein Konstruktionsplan des Orange Canal. Gegenüber hing eine Himmelskarte: schwarzes Pergament, gesprenkelt mit weißen Punkten, welche die Sternenkonstellationen darstellten. Miss Temple hatte immer versucht, die Namen der Sterne zu lernen – man verbrachte genug Zeit damit, sie anzustarren –, doch sie wandte sich den drei Quadraten mit Kritzeleien zu, die sie durch den Sehschlitz erspäht hatte.
Ihre Kehle begann zu brennen. Die Blumen waren blau, die Maske weiß, und von den beiden Händen war die eine weiß, die andere tiefschwarz. Sie erkannte die beiden aus dem Gemälde Die chymische Hochzeit . Waren das Entwürfe, um die richtige Form zu finden? Aber wodurch wurde eine Form richtig? Schon bei der Frage pochte ihr der Kopf – und während sie die Motive betrachtete, schienen die Bilder anzuschwellen, als würden sie Leben aus ihrer Aufmerksamkeit abziehen …
Sie rieb sich die Augen. Als sie aufblickte, stöhnte sie laut auf. Wie hatte sie es nur übersehen können? Es war überhaupt keine Himmelskarte! Mit der glasklaren Erinnerung an Die chymi sche Hochzeit erkannte sie jeden Teil der Komposition – die Braut und den Bräutigam, die schwebenden Gestalten, jede allegorische Geste –, dargestellt auf der Himmelskarte durch einen weißen Punkt. Schoepfil hatte die Blaupause des Comte für das Gemälde entdeckt! Wusste er, was es war? Miss Temple riss die Himmelskarte von der Wand und rollte sie fest zusammen. Sie blickte sich um und entdeckte mit einem Freudenschrei eine lederne Dokumentenrolle. Sie entfernte die Pläne daraus, legte sie auf den Fußboden, steckte das Pergament hinein, stülpte den Deckel darauf und schlug sich mit der Rolle auf die Handfläche. Ein kleiner Bootsmann, bereit, die sonntägliche Bestrafung zu erteilen.
Ihr Lächeln gefror, als ihr Blick auf das
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