Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
Notizbuch Roger Bascombes fiel, das bis zu diesem Augenblick unter der Dokumentenrolle gelegen hatte – aus ihrer Handtasche entwendet und wie alle anderen Beweisstücke in Schoepfils Schatzkammer deponiert. Ihr Bedauern, es ungelesen verloren zu haben, stieg wieder in ihr auf, aber diesmal schob Miss Temple den Gedanken beiseite. Dieses Leben war vorbei. Sie wollte sich davon befreien, und wenn es sein musste, durch schiere Willenskraft. Sie nahm das Notizbuch und zerrte am Deckel des Einbands. Die Bindung gab nach, und sie riss den Deckel ab. Miss Temple schleuderte beide Teile gegen die Wand.
Unvermittelt stieß sie den Stapel mit Doktor Lorenz’ Notizen vom Tisch, und sie flogen davon wie Federn aus einem aufgerissenen Kissen. Die restlichen Papierstapel folgten rasch hintereinander. Zwischen zwei Bücherstapeln steckten zwei Füllfederhalter und ein Fläschchen mit schwarzer Tinte. Mit einem Grinsen entkorkte sie das Fläschchen und verteilte den Inhalt in großen Klecksen über die Papiere auf dem Fußboden. Sie schlug die Bücher auf, stapelte sie übereinander und riss so viele Seiten wie möglich heraus. Sie riss Pläne und Leinwände von der Wand und knüllte sie über den Büchern zusammen. Die Zeichnung der Hände rollte sie ebenfalls zusammen und steckte sie in die Halterung der Gaslampe.
Sie blickte zur Tür. Waren das Schritte? Jawohl. Jemand drehte den Türknauf, doch der Stuhl hielt stand. Wieder wurde der Türknauf bewegt, und dann versuchte es jemand mit einem Schlüssel. Der Rand der Leinwand wurde schwarz und begann sich zu kräuseln. Jetzt wurde gewaltsam gegen die Tür gedrückt. Flammen krochen an der Leinwand empor, wurden grün und blau, während sie über die bunten Farben züngelten. Miss Temple trat an den Tisch, und während an der Tür weiterhin heftig gerüttelt wurde, tauchte Miss Temple die Flammenspitze in den Berg aus Papieren, Plänen, Leinwänden und Büchern.
»Öffnen Sie diese Tür!«, rief Mr. Kelling. »Wer ist da?«
Er warf sich gegen die Tür und schob den Stuhl ein paar Zentimeter zurück. Die Flammen sprangen auf einmal gierig über die Pläne. Kelling gelang es, seine Hand durch den Spalt zu schieben, und er bekam den Stuhl zu fassen. Weiße Rauchkringel stiegen an der Wand empor. Miss Temple schlüpfte in den Dienstbotenflur. Mit der Lederrolle in beiden Händen rannte sie los.
Ihr Gesicht glühte vor Freude über das Chaos, das sie angerichtet hatte. Wie lange sie gesucht haben mussten, um all diese Artefakte zu sammenzusammeln! Selbst wenn Kelling das Feuer löschen konnte – sie wusste aus ihrer Kindheit, wie schwer es war, ein Buch zu verbrennen, vor allem ein dickes –, sie hatte so viele Seiten zerstört. Sie lachte bei dem Gedanken an die vielen Stunden, die es brauchen würde, um die Seiten neu zu sortieren – und wer weiß, vielleicht würde sich das Feuer ja ausbreiten!
Sie taumelte in die Helligkeit der Hauptflure. Die Gefahr, erkannt und für Lady Hoptons Tod verantwortlich gemacht zu werden, war so echt wie die Möglichkeit, dass ihr Mr. Kelling auf den Fersen war, auch wenn ihr die freudige Erregung ein Gefühl von Unverwundbarkeit verlieh. Doch wichtiger war, dass sich in der Atmosphäre der Königlichen Therme etwas verändert hatte. Die Menschenansammlung, die um die Gunst der Königin gebuhlt hatte, hatte sich zerstreut. An ihre Stelle waren Individuen getreten, die in alle Richtungen davonliefen. Niemand schenkte ihr die geringste Beachtung, und die Offiziere oder Soldaten, die ihren Weg kreuzten, achteten noch weniger auf sie als die Besucher. Was war geschehen, während sie im Stall gewesen war?
Rufe erschallten hinter ihr, und mit einem Blick erhaschte sie eine Gruppe von Männern in Hemdsärmeln und mit rußgeschwärzten Gesichtern. Wohlweislich zog sie sich in einen leeren Empfangsraum zurück, dessen Wände mit rotem Tuch bespannt waren. Plötzlich wurde die gegenüberliegende Tür geöffnet.
» Halt!«
Miss Temple erstarrte. Der uniformierte Mann mit der Hand auf dem Türknauf sah sie nicht, weil er nach hinten blickte.
»Was ist denn jetzt wieder?«, rief Colonel Bronque ungeduldig.
Miss Temple stürzte hinter einen Vorhang, strich ihr Kleid glatt und spähte vorsichtig dahinter hervor. Die gebieterische Stimme, die gerufen hatte, kannte sie nur zu gut.
Der Colonel trat beiseite, als die Contessa hereinkam, und nickte den beiden Soldaten, die sie eskortierten, grimmig zu, bevor er ihnen die Tür vor der Nase zuschlug.
»Was
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