Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
nicht am Wachhaus vorbeigekommen. Sie hat keinen der Ausgänge genommen und ist auch nicht durch ein Fenster geschlüpft.«
»Ihr Ton gefällt mir nicht, Mr. Schoepfil.«
Die Herzogin von Cogstead war größer als Miss Temple, was keine Kunst war, und Mr. Schoepfil – ein Mann, der daran gewöhnt war, Gespräche von unten zu beherrschen – begegnete ihrem Blick mit Geringschätzung. »Sie haben die heutige Audienz arrangiert. Sie und Pont-Joule haben sich wiederholt nachsichtig gezeigt.« Er schnaubte einmal zu Miss Temple hinüber. »Dass Ihr in Begleitung dieser Person seid, ist mir Beweis genug.« Schoepfil nickte zu der ovalen Stahltür. »Sie wissen, wohin sie gegangen ist, und ich verlange, dass Sie beiseitetreten!«
Die Herzogin erhob die Stimme und wandte sich an die gesamte Gruppe. »Auf königlichen Erlass tritt Mr. Schoepfil zurück, mit sofortiger Wirkung. Jeder, der an seiner Seite bleibt, wird bestraft.«
»Wie?«, fragte Schoepfil. »Eure Stadt brennt, und Ihr seid hier, wo Ihr so bedeutsam seid wie eine vollgesogene Zecke auf einem Karrengaul.«
»Mr. Schoepfil! Wessen Neffe Sie auch sind …«
»Mein Onkel wird die heutige Nacht nicht überleben. Ihr wollt mich nicht zum Feind haben. Tretet beiseite.«
Die Herzogin rührte sich nicht von der Stelle. Die Soldaten hinter Schoepfil waren einsatzbereit. Miss Temple suchte nach Doktor Svenson, doch sein Blick begegnete ihrem wie aus großer Distanz – eher stumpf als kalt. Sie schluckte bestürzt. Hatte er aufgegeben?
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte den Dienern zu: »Sie müssen die Tür öffnen und die Herzogin hineinziehen.« Die beiden gaben keine Antwort, aber der eine verlagerte sein Gewicht näher an das Stahlrad heran.
»Sie dürfen nicht hinein.« Die Herzogin gab nicht nach. »Ihre Majestät ist da drin.«
»Ist sie nicht«, konterte Schoepfil.
»Mr. Schoepfil, Ihre Unverfrorenheit wirft kein gutes Licht auf Ihre Zukunft bei Hof.«
Schoepfils Augen glühten. Der Mann fand echten Gefallen an einem solchen Kräftemessen, aber er zögerte, gewaltsam gegen die Herzogin vorzugehen. Doch auch wenn er nicht auf sie losging, würde er trotzdem nicht den Rückzug antreten – und sollte sich die Tür öffnen, würde er hindurchgehen. Ein Soldat lockerte sein Schwert in der Scheide. Die Hofmitglieder wichen zusammen mit Nordling zurück. Doktor Svenson blickte zu Boden, wie um seine veränderte Gesinnung zu demonstrieren.
Was war hinter der ovalen Tür, das so wichtig sein konnte?
Schoepfils Annahme, dass die Contessa dahinter sein konnte, sprach dafür, dass die Frau tiefer mit dem Königshaus verbunden war, als irgendwer vermutet hätte. Wenn Lady Axewith die Contessa als Vertraute ansah, war es ihr vielleicht auch dort gelungen, eine ähnliche Nähe herzustellen, zu diesem Lord Pont-Joule oder – wenn das möglich war – zur Königin selbst? Warum sonst war die Herzogin in diesen Raum gekommen? Plötzlich erkannte Miss Temple, dass Schoepfil ein ungeheures Druckmittel in die Hand bekäme – denn er würde noch den kleinsten Hinweis nutzen –, wenn er dort hineingelangte: Den Beweis dafür, dass Mördern seitens der Krone Gefälligkeiten erwiesen worden waren.
»Dieser Mann sollte verhaftet werden!« Miss Temple zeigte anklagend mit einem Finger auf Schoepfil. »Er ist eine Bedrohung für Ihre Majestät! Sie wissen, was Sie zu tun haben! Wenn Sie keine Feiglinge sind …«
Mr. Kelling ließ seine Kiste krachend zu Boden fallen und griff in seinen Überzieher. Er riss einen schimmernden kurzläufigen Revolver heraus, hatte jedoch kaum den Arm ausgestreckt, als die Waffe aus seiner Hand flog und ein Schrei Kellings die Luft zerriss. Mr. Nordling hatte eine schmale Klinge aus seinem Stock gezogen und Kelling ins Handgelenk gestoßen. Die Ministerialbe amten wichen weiter zurück, ohne Partei zu ergreifen. Schoepfil brüllte wütend und schlug Kelling dreimal ins Gesicht, bevor der Hofbeamte seine Waffe zum Einsatz bringen konnte. Kelling stolperte über seine Kiste und fiel hin, wobei er sich den verwundeten Arm hielt. Die Soldaten zückten ihre Säbel. Die Hofmitglieder eilten Nordling zu Hilfe, wurden jedoch mehrfach getroffen. Die Diener stießen Miss Temple beiseite und drehten an dem eisernen Rad.
Ein Schuss ertönte, und Miss Temple zuckte zusammen, als Putz von der Decke rieselte. Doktor Svenson hatte Kellings Revolver in der Hand.
Svenson zielte auf die Soldaten und richtete dann den Lauf auf Schoepfil.
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