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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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damit verärgere sie die einheimischen Arbeiter, die es nicht gewohnt waren, junge Mädchen in Männerkleidung zu sehen.
    Von hier aus hatte sie eine gute Aussicht über das gesamte Grabungsgelände. Die gelben Mauerreste, die zwischen tiefen Gräben und Schächten aus dem Wüstensand ragten, wirkten von hier oben wie riesenhafte Buchstaben einer längst vergessenen Schrift. Es fiel schwer, sich vorzustellen, dass sich hier vor ein paar tausend Jahren eine blühende Metropole erhoben hatte – Uruk, die Hauptstadt des Zweistromlandes. Hier hatte Gilgameschs Thron gestanden, vielleicht im Schatten einer mächtigen Zikkurat oder unter Zwiebeltürmen wie in den Illustrationen der Geschichten um Aladin und Harun-Al-Raschid.
    Tess war allein hier heraufgestiegen, weil sie die Ruhe und den Wind mochte, das Säuseln winziger Sandwirbel, die über die Hänge tanzten wie die Asche längst vergessener Ballerinen. Hier oben fiel es leicht, sich solche Dinge vorzustellen. Die verrücktesten Dinge.
    Den Ritter zum Beispiel.
    Sie hatte ihn in letzter Zeit oft gesehen, meist aus der Ferne, ein Blitzen am Horizont der persischen Wüste, Sonnenstrahlen die sich auf seinem silbernen Harnisch brachen. Gelegentlich kam er näher. Dann sah sie den Schweif seines schneeweißen Hengstes, sah, wie die Hufe Krater im Sand hinterließen, hörte das Schnauben des Schimmels und das Klirren des Rüstzeugs. Sah das geschlossene Visier unter dem weißen Federbusch.
    »Wartest du wieder auf ihn?«
    Tess blickte auf. Gian war den Dünenhang heraufgestiegen und stand plötzlich vor ihr. Sie musste geradewegs durch ihn hindurchgeschaut haben. Kein Wunder, dass er besorgt aussah. Aber Gian war immer besorgt, seit sie den Fehler gemacht hatte, ihm von dem Ritter zu erzählen.
    »Nein«, sagte sie wahrheitsgemäß. »Ich wollte nur allein sein.«
    »Soll ich wieder gehen?«
    »Blödsinn.« Sie deutete auf eine Stelle im Sand, gleich neben sich. »Setz dich.«
    Er lächelte. »Und die Skorpione?«
    »Haben hoffentlich keinen so exotischen Geschmack, dass sie sich mit zwei Bleichgesichtern wie uns abgeben.«
    Schmunzelnd ließ er sich neben ihr nieder. Bleich war eigentlich nur Tess, denn sie hatte die blasse Haut ihrer Mutter geerbt. Von Sylvette hatte sie auch das weißblonde Haar, das ihr als langer Pferdeschwanz über den Rücken fiel. Zudem entdeckte sie seit ihrer Ankunft in der Wüste fast täglich neue Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken, und Gian hatte zu Anfang keine Gelegenheit ausgelassen, sie damit aufzuziehen. Die meisten glaubten, er sei ihr Bruder, obwohl er ihr Cousin war. Aber das hatte nie einen Unterschied gemacht. Er war Auras Sohn, und Aura war so etwas wie ihre zweite Mutter.
    »Keine Lust mehr, alte Töpfe zusammenzuleimen?«, erkundigte er sich scheinheilig. Er hatte rabenschwarzes Haar und buschige Augenbrauen. Sein khakifarbenes Hemd hatte einen Kaffeefleck vom Frühstück, aber mit derlei Dingen nahm man es hier draußen nicht so genau.
    Kopfschüttelnd schenkte sie ihm ein Lächeln, auch wenn ihr sein Unterton missfiel. Ein Hauch von Sarkasmus hatte sich in den vergangenen Wochen in vieles eingeschlichen, was er sagte, und das ärgerte sie. Gian und sie hatten niemals wirklich Streit gehabt, und sie hatte das untrügliche Gefühl, dass es bald zum ersten Mal soweit sein würde.
    Professor Goldstein, der Leiter des Camps und ein Bekannter ihrer Tante Aura aus jener Zeit, als sie sich eingehend mit dem Gilga-mesch-Epos auseinander gesetzt hatte, hatte Tess zu Arbeiten in den Ruinen einer antiken Töpferwerkstatt eingesetzt. Seine Arbeiter hat-ten das Areal erst vor ein paar Monaten freigelegt. Tess hatte eine Menge Zeit damit verbracht, die Oberreste uralter Gefäße zusammenzusetzen, anfangs nur zum Spaß, bis ein Assistent des Professors erkannte, dass sie sich ziemlich geschickt anstellte. Seitdem überließ man ihr auch die Rekonstruktion seltenerer Fundstücke. Nicht schlecht für eine Fünfzehnjährige. Sie spürte, dass Gian neidisch auf die Verantwortung war, die man ihr übertragen hatte. Er war ein Jahr älter und durfte lediglich die Korbjungen bespitzeln, Söhne der Einheimischen, deren Aufgabe es war, den Abraum aus den Gruben in Körben abzutransportieren und nach Fundstücken zu durchsuchen. Manche ließen dabei einzelne Teile unter ihren Gewändern verschwinden, und es oblag Gian, ein wachsames Auge auf sie zu haben – was ihn nicht gerade zu einem Liebling der Beduinenkinder hatte werden lassen. Er erledigte

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