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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ausgrabungsstätte: Mauerreste wie Zahnstümpfe, dazwischen zahllose Menschen. »Gib nicht Aura die Schuld. Sie hat es nur gut gemeint.«
    »Gut gemeint«, wiederholte er verächtlich. »Klar doch. Meine Mutter hat uns hergeschickt, weil sie uns loswerden wollte. Jedenfalls mich.«
    »Schwachsinn.«
    Sein Kopf ruckte herum, und sie erschrak, als sie den Hass in seinen Augen sah, die dunkle, kalte Wut hinter seinen Pupillen. »Sie hat mich genauso verlassen wie damals mein Vater. Und letztlich war es ihre Schuld, dass er fortgegangen ist. Es gibt keine Entschuldigung für das, was sie getan hat.«
    Tess hätte gerne widersprochen, aber das konnte sie nicht. Aura hatte Gillian das Gilgamesch-Kraut verabreicht, hatte ihn gegen seinen Willen zu einem Unsterblichen gemacht. Gillian hatte das nicht gewollt, doch Aura hatte sich selbstsüchtig darüber hinweggesetzt. Aus Liebe, gewiss, und dennoch… es war falsch gewesen. Sie alle wussten das.
    Tess hatte allerdings die Befürchtung, dass es Gian gar nicht um das ging, was Aura getan hatte. Er sah nur – paradoxerweise in einem ähnlichen Anflug von Egoismus wie dem, den er seiner Mutter zum Vorwurf machte –, dass Gillian die Familie verlassen hatte, als Gian erst acht Jahre alt gewesen war. Und nun hatte Aura auch ihn fortgeschickt, hierher, ans Ende der Welt. Das warf er ihr vor, und ganz gleich, was Tess sagen mochte, es würde nichts an seinen Gefühlen ändern. Sie hätte den bevorstehenden Krieg erwähnen können, die Gefahr, die ihnen auf Schloss Institoris gedroht hatte, aber das war zwecklos. Sie brauchte ihn nur anzusehen, um das zu erkennen.
    »Irgendwann wirst du ihr verzeihen müssen«, sagte sie. »Weshalb sollte ich?«
    »Weil… weil sie deine Mutter ist.« Gott, sie kam sich schrecklich kindisch vor.
    Er lachte, aber es klang kühl und machte ihr fast ein wenig Angst. »Meine Mutter…«, flüsterte er, doch falls er noch etwas hatte hinzufügen wollen, so verschluckte er es.
    Tess legte einen Arm um seine Schultern und erschrak, als er sich einen Moment lang versteifte, als wäre sie eine Fremde. Dann aber wurde er wieder zu dem alten Gian, dem Jungen, den sie besser kannte als jeden anderen Menschen und den sie liebte wie einen Zwillingsbruder. Er sackte ein wenig zusammen und lehnte den Kopf an ihre Schulter.
    Tess lauschte auf den Wind über den Dünen, horchte auf das Prasseln der Sandwirbel auf den Hängen, während ihre Augen den Mustern der Verwerfungen folgten, Antworten darin suchten wie ein Schamane in der Asche eines Feuers.
    Ein Blitzen über einem nahen Hügel. Sonnenlicht auf Stahl.
    Aber es waren nur ein paar Arbeiter, die mit geschulterten Werkzeugen über die Anhöhe kamen und hinab zu einer der Grabungsstätten stapften.
    »Tess?« »Hm?« Er löste seine Wange von ihrer Schulter und sah ihr in die Augen,
    so blau, so schön wie seine eigenen. »Wenn man einen Fehler macht, ganz egal welchen… Glaubst du, man kann ihn wieder gut machen? Irgendwie?«
    Sie erwiderte stumm seinen Blick und wünschte sich mit aller Kraft, sie könnte seine Gedanken lesen. Sie überlegte und fand schließlich eine Antwort, die er vermutlich nicht hören wollte. »Wenn man weiß, dass es ein Fehler ist, und ihn trotzdem begeht… Nein, ich glaube nicht. Nicht jeden.«
    Er hielt ihrem Blick ein paar Sekunden länger stand, dann erhob er sich resigniert. »Ich geh zurück ins Lager.« »Gian?« Er blieb stehen, zögerte aber einen Augenblick, ehe er sich
    schließlich noch einmal zu ihr umwandte. »Ja?« »Du erzählst mir noch davon, oder? Was dir so zu schaffen macht?«
    Er lächelte traurig. »Ich hab dich lieb, Tess.« Damit drehte er sich um und eilte den Hang hinunter. Seine Schritte lösten weite Sandfelder, die geräuschlos abrutschten, als entfernte sich mit ihm auch die Wüste von ihr.
    Tess blinzelte. Licht auf Stahl, in weiter Ferne. Ganz kurz. Was geschieht nur mit uns? Ein Schnauben, vielleicht nur der Wind. Was geschieht mit mir ! Heute Nacht würde sie wieder schlecht träumen. Wie so oft in letzter Zeit. Ich will das nicht.
    Ich hab dich lieb, Tess.
    Ich dich auch.
    Abends stand Tess vor dem Spiegel und betrachtete ihr Abbild im trüben Glas. Alles hier war staubig, hauchfein bedeckt mit Wüstensand. Sogar sie selbst, fand sie.
    Porzellanweiß, sagte sie sich an Tagen, wenn ihre Laune gut ge-nug war, sich selbst zu mögen. Weiß wie der Tod, urteilte sie heute. Gians Haut bräunte in der Sonne schneller als ein Brot im Ofen. Aber sie selbst?

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