Die Alpen
die schwache Sterblichkeit,
Worin dir niemand gleicht und alles dich bereut!
Doch suche nur im Riß von künstlichen Figuren,
Beim Licht der Ziffer-Kunst, der Wahrheit dunkle Spuren;
Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist,
Zu glücklich, wann sie noch die äußre Schale weist!
Du hast nach reifer Müh und nach durchwachten Jahren
Erst selbst, wie viel uns fehlt, wie nichts du weißt, erfahren!
›Die Welt, die Cäsarn dient, ist meiner nicht mehr wert‹,
Ruft seines Romes Geist und stürzt sich in sein Schwert.
Nie hat den festen Sinn das Ansehn großer Bürger,
Der Glanz von teurem Erzt, der Dolch erkaufter Würger,
Von seines Landes Wohl, vom bessern Teil getrannt:
In ihm hat Rom gelebt, er war das Vaterland.
Sein Sinn war ohne Lust, sein Herz war sonder Schrecken,
Sein Leben ohne Schuld, sein Nachruhm ohne Flecken,
In ihm verneute sich der alte Helden-Mut,
Der alles für sein Land, nichts für sich selber tut;
Ihn daurte nie die Wahl, wann Recht und Glücke kriegten,
Den Cäsar schützt das Glück und Cato die Besiegten.
Doch fällt vielleicht auch hier die Tugend-Larve hin,
Und seine Großmut ist ein stolzer Eigensinn,
Der nie in fremdem Joch den steifen Nacken schmieget,
Dem Schicksal selber trotzt und eher bricht als bieget;
Ein Sinn, dem nichts gefällt, den keine Sanftmut kühlt,
Der sich selbst alles ist und niemals noch gefühlt.
Wie? hat dann aus dem Sinn der Menschen ganz verdrungen,
Die scheue Tugend sich den Sternen zugeschwungen?
Verläßt des Himmels Aug ein schuldiges Geschlecht?
Von so viel Tausenden ist dann nicht einer echt?
Nein, nein, der Himmel kann, was er erschuf, nicht hassen;
Er wird der Güte Werk dem Zorn nicht überlassen:
So vieler Weisen Wunsch, der Zweck so vieler Müh,
Die Tugend, wohnt in uns und niemand kennet sie.
Des Himmels schönstes Kind, die immer gleiche Tugend,
Blüht in der holden Pracht der angenehmsten Jugend;
Kein finstrer Blick umwölkt der Augen heiter Licht,
Und wer die Tugend haßt, der kennt die Tugend nicht.
Sie ist kein Wahl-Gesetz, das uns die Weisen lehren,
Sie ist des Himmels Ruf, den reine Herzen hören;
Ihr innerlich Gefühl beurteilt jede Tat,
Warnt, billigt, mahnet, wehrt und ist der Seele Rat.
Wer ihrem Winke folgt, wird niemals unrecht wählen,
Er wird der Tugend nie, noch ihm Vergnügen fehlen;
Nie stört sein Gleichgewicht der Sinne gäher Sturm,
Nie untergräbt sein Herz bereuter Laster Wurm;
Er wird kein scheinbar Glück um würklichs Elend kaufen
Und nie durch kurze Lust in langes Unglück laufen;
Ihm ist Gold, Ruhm und Lust wie bei des Obsts Genuß,
Gesund bei kluger Maß, ein Gift beim Überfluß.
Der Menschen letzte Furcht wird niemals ihn entfärben,
Er hätte gern gelebt und wird nicht ungern sterben.
Von dir, selbständige Gut, unendlichs Gnaden-Meer,
Kommt dieser innre Zug, wie alles Gute, her!
Das Herz folgt unbewußt der Würkung deiner Liebe,
Es meinet frei zu sein und folget deinem Triebe;
Unfruchtbar von Natur, bringt es auf den Altar
Die Frucht, die von dir selbst in uns gepflanzet war.
Was von dir stammt, ist echt und wird vor dir bestehen,
Wann falsche Tugend wird, wie Blei im Test, vergehen,
Und dort für manche Tat, die itzt auf äußern Schein
Die Welt mit Opfern zahlt, der Lohn wird Strafe sein!
Trauer-Ode, beim Absterben seiner geliebten Mariane Älteste Tochter des Herrn Samuel Wyß, Herrn zu Mathod und la Mothe, und Marien von Dießbach, die der Verfasser den 19. Febr. 1731 geheiratet und den 30. Oktob. 1736 durch den Tod verloren hat, da er eben einen Monat vorher in Göttingen angekommen war.
Nov. 1736
Soll ich von deinem Tode singen?
O Mariane! welch ein Lied,
Wann Seufzer mit den Worten ringen
Und ein Begriff den andern flieht!
Die Lust, die ich an dir empfunden,
Vergrößert jetzund meine Not;
Ich öffne meines Herzens Wunden
Und fühle nochmals deinen Tod.
Doch meine Liebe war zu heftig,
Und du verdienst sie allzuwohl,
Dein Bild bleibt in mir viel zu kräftig,
Als daß ich von dir schweigen soll.
Es wird, im Ausdruck meiner Liebe,
Mir etwas meines Glückes neu,
Als wann von dir mir etwas bliebe,
Ein zärtlich Abbild unsrer Treu!
Nicht Reden, die der Witz gebieret,
Nicht Dichter-Klagen fang ich an;
Nur Seufzer, die ein Herz verlieret,
Wann es sein Leid nicht fassen kann.
Ja, meine Seele will ich schildern,
Von Lieb und Traurigkeit verwirrt,
Wie sie, ergötzt an Trauer-Bildern,
In Kummer-Labyrinthen irrt!
Ich seh dich noch, wie du erblaßtest,
Wie ich verzweiflend zu dir
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