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Die alte Jungfer (German Edition)

Die alte Jungfer (German Edition)

Titel: Die alte Jungfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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grauem Kalkstein, ähnlich dem Bruchstein des normannischen Granits oder dem bretonischen Schiefer, gebaut war. Der ehemalige Lieferant hatte sich komfortabler als jeder andere in der Stadt eingerichtet, denn er besaß noch einige Möbel aus der Zeit seiner Herrlichkeit; doch die Sitten der Provinz hatten allmählich den Glanz des gefallenen Sardanapal verdunkelt. Die Spuren seines früheren Luxus wirkten in dem Hause wie ein Kronleuchter in einer Scheune. Die Harmonie, das bindende Element jedes menschlichen und göttlichen Werkes, fehlte in den großen wie in den kleinen Dingen. Auf einer schönen Kommode stand ein Wassertopf mit Deckel, wie man ihn nur in der Bretagne sieht. Ein hübscher Teppich bedeckte den Fußboden, doch an den Fenstern waren Vorhänge aus gewöhnlichem Kattun mit aufgedruckten Rosenbuketts. Auf dem häßlich bemalten steinernen Kamin stand eine prächtige Uhr, zu der wiederum zwei elende Leuchter schlecht paßten. Die Treppe, die jeder hinaufstieg, ohne sich die Füße abzutreten, war nicht gestrichen. Die Türen, die von einem einheimischen Maler aufgefrischt worden waren, stießen den Blick durch schreiende Farben ab. Wie die Zeit, die Du Bousquier repräsentierte, enthielt dieses Haus einen zusammengewürfelten Haufen von schmutzigen und herrlichen Dingen. Du Bousquier galt für einen Mann von gutem Auskommen und führte das gleiche Schmarotzerdasein wie der Chevalier; wer sein Einkommen nicht ausgibt, wird immer reich sein. Als einzigen dienstbaren Geist hatte er einen tölpelhaften Jungen vom Lande, eine Art Jocrisse, den Du Bousquier allmählich wie einen Orang-Utan abgerichtet hatte, den Fußboden zu scheuern, die Möbel abzuwischen, die Stiefel zu wichsen, die Kleidung zu bürsten und ihn abends bei trübem Wetter mit der Laterne oder, wenn es regnete, mit Holzschuhen abzuholen. Wie gewisse Geschöpfe neigte der Junge nur zu einem einzigen Laster: er war gefräßig. Manchmal, wenn Du Bousquier ein Festmahl gab, ließ er ihn seinen blaukarierten baumwollenen Kittel, aus dem immer die Taschen, mit Taschentuch, Messer, einem Stück Kuchen oder einem Apfel vollgestopft, heraus standen, ausziehen, eine Livree anlegen und nahm ihn zum Servieren mit. René stopfte sich dann samt den andern Dienstboten mit Speisen voll. Diese Pflicht, die Du Bousquier als eine Belohnung dargestellt hatte, trug ihm die absoluteste Verschwiegenheit seines bretonischen Dieners ein.
    »Was wollen Sie, Mademoiselle?« sagte René zu Suzanne, als sie eintrat; »es ist nicht Ihr Tag, wir haben heute Madame Lardot keine Wäsche zu schicken.« – .»Dummer Esel!« versetzte Suzanne lachend.
    Das hübsche Mädchen stieg hinauf und ließ René seine Schüssel in Milch gekochter Buchweizenfladen weiteressen. Du Bousquier lag noch im Bett und käute seine Glücksprojekte wieder; denn wie allen denen, die die Drängen der Liebesfreude zu sehr ausgedrückt haben, blieb ihm nichts weiter übrig als der Ehrgeiz. Der Ehrgeiz und das Spiel sind unerschöpflich. Auch werden bei einem Mann von gesundem Organismus die Leidenschaften, die dem Gehirn entspringen, stets die Leidenschaften des Herzens überdauern.
    »Da bin ich!« sagte Suzanne und setzte sich mit einer so ungestümen Bewegung auf das Bett, daß die Vorhänge an den Stangen knarrten. »Was ist denn, mein Engel?« fragte der alte Junggeselle und setzte sich im Bett auf. »Monsieur«, sagte Suzanne feierlich, »Sie werden erstaunt sein, mich hier zu sehen; aber ich befinde mich in Umständen, die mich nötigen, mich nicht darum zu kümmern, was man darüber redet.« – »Was ist denn los?« fragte Du Bousquier weiter und kreuzte die Arme über der Brust, »Aber verstehen Sie mich denn nicht?« erwiderte Suzanne. »Ich weiß«, fuhr sie fort und zog einen niedlichen Schmollmund, »daß es lächerlich von einem armen Mädchen ist, einem Manne Scherereien zu machen für etwas, was er für Lappalien hält. Aber wenn Sie mich kennen würden, wenn Sie wüßten, wessen ich für den Mann, der mir zugetan wäre, so wie ich ihm zugetan sein würde, fähig wäre, würden Sie es niemals bereuen, mich geheiratet zu haben. Hier freilich würde ich Ihnen nicht viel nützen können; aber wenn wir nach Paris gingen, würden Sie sehen, wohin ich einen Mann von Geist und Fähigkeiten, so wie Sie, zu einer Zeit, wo die Regierung von Grund aus umgewälzt wird und wo die Ausländer die Herren sind, führen könnte! Schließlich, unter uns gesagt, ist denn das, wovon hier die Rede ist, ein

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