Die alte Jungfer (German Edition)
christlichen Tugenden in ihrer Person, und Du Bousquier wurde sicherlich einer der glücklichsten Männer des Königreichs Frankreich und Navarra.
»Sie bleibt einfältig bis zu ihrem letzten Atemzuge«, sagte der seines Postens enthobene grausame Vorsteher des Hypothekenamts, der aber trotzdem in der Woche zweimal bei ihnen zu Tisch war.
Diese Geschichte bliebe seltsam unvollkommen, wenn man nicht des seltsamen Zusammentreffens des Todes des Chevaliers de Valois mit dem Tode von Suzannes Mutter Erwähnung tun würde. Der Chevalier starb zugleich mit der Monarchie im August 1830. Er gesellte sich zu dem Gefolge Karls X. in Nonancourt und begleitete den König ehrerbietig mit allen Troisville, den Castéran, den Verneuil usw. bis Cherbourg. Der alte Edelmann hatte fünfzigtausend Francs, zu welcher Summe seine Ersparnisse und der Wert der Rente angewachsen waren, mit sich genommen; er gab sie mit dem Hinweis auf seinen baldigen Tod einem der Getreuen seines Herrn, der sie dem König mit den Worten einhändigen sollte, daß dieses Geld von der Güte Seiner Majestät herrührt und daß der Besitz des letzten der Valois der Krone gebühre. Man weiß nicht, ob diese inbrünstige Beflissenheit das Widerstreben des Bourbonen bezwang, der sein schönes Königreich ohne einen Sou verließ und den die Hingebung des Chevaliers doch wohl rühren mußte; sicher ist, daß Cesarine, die Universalerbin des Monsieur de Valois, kaum sechshundert Livres Rente erhielt. Der Chevalier kehrte, von Schmerz und Erschöpfung überwältigt, nach Alençon zurück, und er starb, als Karl X. den Boden des Exils betrat.
Madame du Val-Noble und ihr Beschützer, der im jener Zeit die Rache der liberalen Partei fürchtete, waren froh, einen Vorwand zu haben, um inkognito in das Dorf kommen zu können, wo Suzannes Mutter starb. Bei der Versteigerung, die nach dem Hinscheiden des Chevaliers de Valois abgehalten wurde, trieb Suzanne, die ein Andenken von ihrem ersten guten Freund zu haben wünschte, den Preis der Tabaksdose auf die enorme Summe von tausend Francs. Das Porträt der Prinzessin Goritza war schon allein so viel wert. Zwei Jahre später erlangte ein junger Stutzer, der sich eine Sammlung der schönsten Tabaksdosen des letzten Jahrhunderts angelegt hatte, von Suzanne die des Chevaliers, die sich durch eine wunderschöne Form auszeichnete. Das Kleinod, das der Vertraute der ritterlichsten Liebe und der Trost eines alten Mannes gewesen war, fand nunmehr seinen Platz in einer Art Privatmuseum. Wenn die Toten wissen könnten, was nach ihrem Ableben geschieht, so müßte die linke Seite des Chevaliers in diesem Augenblick erröten.
Wenn diese Geschichte nur die Wirkung hätte, den Besitzern teurer Reliquien einen frommen Schauder einzuflößen, so daß sie in einer Testamentsklausel über den Verbleib kostbarer Erinnerungszeichen eines vergangenen Glücks die Bestimmung treffen, sie nur in brüderliche Hände gelangen zu lassen, so würde sie dem romantischen, zu Herzensabenteuern neigenden Teil des Publikums schon einen großen Dienst erweisen; aber sie enthält noch eine höhere Moral... Tut sie nicht die Notwendigkeit einer Reform des Unterrichts dar? Ruft sie nicht förmlich das Einschreiten eines aufgeklärten Unterrichtsministeriums zur Errichtung von Lehrstühlen für Anthropologie an, einer Wissenschaft, in der uns Deutschland schon überholt hat? Die modernen Mythen sind noch schwerer zu verstehen als die Mythen des Altertums, obwohl man uns mit Mythen überhäuft. Die Mythen bedrängen uns von allen Seiten, sie sind zu allem nütze, erklären alles. Wenn sie, wie die humanistische Schule behauptet, die Fackeln der Geschichte sind, so werden sie die Reiche vor jeder Revolution bewahren, wenn nur die Professoren der Geschichte die Erklärungen, die sie von ihnen geben, bis in die Volksmassen der Departements dringen lassen. Wäre Mademoiselle Cormon in der Literatur bewandert gewesen, hätte es in dem Departement de l'Orne einen Professor der Anthropologie gegeben, hätte sie Ariost gelesen, wäre es dann wohl zu all dem Ungemach ihres Ehelebens gekommen? Sie hätte dann vielleicht zu ergründen gesucht, warum der italienische Dichter uns zeigt, wie Angelika den Medor, der ein blonder Chevalier de Valois ist, dem Roland, dessen Roß umgekommen und der nur rasen konnte, vorzog. Kann Medor nicht als die mythische Gestalt der Höflinge des weiblichen Königtums gelten und Roland als der Mythus der zügellosen, rasenden, kraftlosen
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