Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die alte Jungfer (German Edition)

Die alte Jungfer (German Edition)

Titel: Die alte Jungfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Chevalier durchführte. Aber dieser Kalauer war auch mörderisch und übertraf alle Witze des Vorstehers des Hypothekenamtes um hundert Ellen. Als Monsieur du Coudrai das verwahrloste Riechorgan des Chevaliers bemerkt hatte, hatte er den Chevalier ›Nerestan‹ genannt. Kurzum: die Anekdoten machten es wie die Zähne; allmählich wurden sie seltener, aber der Appetit blieb. Aus dem Schiffbruch aller seiner Hoffnungen rettete der Chevalier nur seinen Magen; wenn ihm auch der Schnupftabak gleichgültiger geworden war, so aß er nach wie vor ungeheuer viel. Man stelle sich vor, wie groß die allgemeine Verwirrung war, .als man erfuhr, daß Monsieur de Valois sich nur noch selten mit der Prinzessin Goritza unterhielt. Eines Tages kam er zu Mademoiselle Armande mit einer Strumpfwade vorn an seinem Schienbein. Dieser Bankerott der äußeren Anmut war, weiß Gott, fürchterlich und ein Schlag für ganz Alençon? Dieser sozusagen junge Mann, der plötzlich zum Greis wurde, der unter dem Schwinden der Seelenkräfte von fünfzig Jahren auf neunzig überging, erschreckte die Gesellschaft, schließlich gab er sein Geheimnis preis: er hatte auf Mademoiselle Cormon gewartet, sie belauert; zehn Jahre lang hatte er, ein geduldiger Jäger, seinen Schuß vorbereitet und hatte das Wild verfehlt. Kurz, die ohnmächtige Republik siegte über die tapfere Aristokratie und dies inmitten der Restauration! Die Form triumphierte über den Inhalt, der Geist war von der Materie, die Diplomatie vom Aufruhr besiegt worden. Das letzte Unglück war, daß eine gekränkte Grisette das Geheimnis der Morgenstunden des Chevaliers enthüllte; nun galt er als Wüstling. Die Liberalen schoben ihm die Findelkinder Du Bousquiers zu, die der Faubourg Saint-Germain von Alençon mit großem Stolz akzeptierte; man lachte dort darüber und sagte: »Was hätte der arme Chevalier anderes tun sollen?« Er beklagte den Chevalier, nahm ihn unter seine Fittiche, belebte sein Lächeln, und ein schrecklicher Haß sammelte sich über dem Haupte Du Bousquiers. Elf Personen gingen zu den d'Esgrignon über und verließen den Salon Cormon.
    Eine Hauptwirkung dieser Heirat war, daß die Parteien in Alençon sich nun sonderten und klar voneinander abhoben. Das Haus d'Esgrignon, dem sich die zurückgekehrten Troisville anschlossen, repräsentierte die hohe Aristokratie. Das Haus Cormon vertrat unter dem geschickten Einfluß Du Bousquiers jene unheilvolle Gesinnung, die weder wirklich liberal, noch offen royalistisch war und aus der an dem Tage, wo sich der Kampf zwischen der erhabensten, größten, einzig wahren Macht, dem Königtum, und der flachesten, veränderlichsten, tyrannischsten, der sogenannten parlamentarischen Macht, die vom Abgeordnetenhaus ausgeübt wird, entspann, die ›Zweihunderteinundzwanzig‹ hervorgingen. Der Salon Du Ronceret, der insgeheim mit dem Salon Cormon verbündet war, war freiheraus liberal.
    Der Abbé de Sponde litt bei seiner Rückkehr aus Le Prébaudet beständig; er drängte seine Schmerzen zwar zurück und verheimlichte sie vor seiner Nichte; aber er öffnete sein Herz Mademoiselle Armande, der er gestand, daß er, wenn schon eine Torheit begangen werden sollte, den Chevalier de Valois Monsieur du Bousquier vorgezogen hätte. Niemals wäre der Chevalier so herzlos gewesen, einem armen Greis, der nur noch kurze Zeit zu leben hat, soviel Verdruß zu bereiten. Du Bousquier hatte in der Wohnung alles zerstört. Der Abbé sagte, während bittere Tränen aus seinen glanzlosen Augen traten: »Mademoiselle, ich habe nicht einmal mehr den Laubengang, wo ich fünfzig Jahre auf und ab gewandelt bin. Meine vielgeliebten Linden hat man umgehauen. Kurz vor meinem Tode erscheint mir die Republik noch in der Form einer schrecklichen Umwälzung im eigenen Hause.«
    »Sie müssen Ihrer Nichte verzeihen«, meinte der Chevalier de Valois; »die republikanischen Ideen sind der erste Irrtum der Jugend, die nach der Freiheit begehrt und auf den schrecklichsten Despotismus, den des ohnmächtigen Pöbels, stößt. Ihre arme Nichte wird nicht dort gestraft, wo sie gesündigt hat.«
    »Was soll ich in einem Hause anfangen, wo nackte Frauen auf den Wänden tanzen? Wo finde ich die Linden, unter denen ich mein Brevier gelesen habe?«
    Gleich Kant, der keine Verbindung mehr in seine Gedanken bringen konnte, als man ihm die Tanne gefällt hatte, auf die er während seiner Betrachtungen zu blicken gewohnt war, konnte der gute Abbé seinen Gebeten nicht mehr denselben Schwung

Weitere Kostenlose Bücher