Die amerikanische Nacht
drei Monate, doch es gelang ihm, in »Kind der Liebe« eine überwältigende Leistung aus ihr herauszuholen. 1986 heiratete sie einen Tierarzt; sie ließen sich schon vier Jahre darauf wieder scheiden. Sie hatte keine Kinder. Als sie die vierzig überschritten hatte, ging es mit Ms Hughes langsam bergab, wie es schon so vielen anderen Filmgöttinnen vor ihr ergangen ist: Sie wurde sterblich. Sie alterte. Sie bekam keine Rollen mehr. Es folgten Schönheitsoperationen, Gerüchte über Tablettenabhängigkeit, und, nach einem erniedrigenden Auftritt in »Superman IV : Die Welt am Abgrund«, bei dem ihr Make-up aussah, als sei es mit Buntstiften aufgetragen worden, ein rascher, nicht ganz freiwilliger Abgang von der öffentlichen Bühne.
Olivia blieb mit Knightly verheiratet. Sie hatten drei Söhne. Seit siebenundzwanzig Jahren war sie Kuratoriumsmitglied des Metropolitan Museum of Art, die gesellschaftlich bedeutendste Position der Stadt.
»Marlowe hatte den Ruhm, Olivia den Prinzen«, sagte Beckman mit tiefer Stimme, die Augen im Schein des Feuers leuchtend. »Aber wer hatte das bessere Leben?«
Man war sich einig: Olivia.
»Vielleicht«, sagte Beckman dann. »Aber wer weiß schon, wie die Eifersucht sie von innen zerfressen hat wie Säure ein altes Rohr?«
Es gab noch ein letztes Detail. Es betraf Cordova.
Auch nach ihrer Heirat mit Knightly arbeitete Olivia Endicott in den Achtzigern hier und dort am Broadway, bevor sie die Schauspielerei ganz aufgab, um sich auf ihre Rolle als Mutter, Ehefrau und Philanthropin zu konzentrieren.
Trotzdem – sie blieb ein leidenschaftlicher Cordova-Fan.
Beckman zufolge schrieb Olivia dem Regisseur unzählige Briefe und nervte ihn mit ihrer Beharrlichkeit. Sie bettelte darum, mit ihm arbeiten, vorsprechen oder auch nur eine Statistenrolle ohne Text übernehmen zu dürfen. Sie hoffte, ihn zumindest einmal zu treffen. Cordova schien das zu sein, was ihr noch fehlte – das letzte Puzzlestück –, um ihre Schwester vollständig zu besiegen.
»Und Cordova reagierte auf jeden von Olivias Briefen mit demselben, mit Schreibmaschine geschriebenen Satz«, sagte Beckman.
An dieser Stelle der Erzählung stützte sich Beckman auf seinen persischen Hocker und stand auf. Dann schlurfte er in eine dunkle, feuchtkalte Ecke seines Wohnzimmers, riss mit Gewalt eine Schreibtischschublade auf und wühlte in Papieren, Quittungen und
Playbill
-Magazinen vom Broadway. Eine Minute darauf wankte er zu seinen Zuhörern zurück, mit einem makellosen cremefarbenen Briefumschlag in der Hand.
Ganz langsam zeigte er ihn dem Studenten neben ihm, der den Umschlag nervös öffnete, den Brief herauszog und schweigend las, bevor er vor Ehrfurcht blinzelte und ihn an den nächsten weitergab.
Beckman behauptete, den Brief bei einer Haushaltsauflösung erstanden zu haben.
11 . November 1988
Meine liebe Du Pont:
Selbst wenn außer dir alle Menschen auf der Welt tot wären, dürftest du nicht in einem meiner Filme mitspielen.
Cordova
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Ich erzählte Nora die Geschichte nicht ansatzweise so theatralisch wie Beckman.
»›Flieg weiter, schönes Kind‹?«, wiederholte sie. »Das ist der traurigste Abschiedsgruß, den es gibt. Glaubst du, das stimmt alles?«
»Ja.«
»Ruf Olivia an.
Jetzt sofort.
«
Ich wählte ihre Nummer.
»Selbstverständlich, Mr McGrath«, sagte die Sekretärin am anderen Ende. »Passt es Ihnen morgen? Ms du Pont bricht am Tag darauf nach St. Moritz auf. Sie hatte gehofft, dass Sie ihr die kurzfristige Anfrage verzeihen und sie noch in Ihrem vollen Terminkalender unterbringen können, denn sie wird vier Monate lang verreist sein.«
Ich erklärte mich bereit, Olivia am nächsten Tag um zwölf in ihrem Apartment zu treffen. Die Adresse war so etwas wie die amerikanische Version des Buckingham Palace: 740 Park Avenue. Dort waren Jackie Kennedy und unzählige andere legendäre Erben und Erbinnen aufgewachsen. Es war das reine, alte, reiche New York: standhaft, an den Schläfen leicht ergraut, geheimnisvoll und unglaublich versnobt.
Als ich auflegte, merkte ich, dass mein Handy vibrierte.
Ich kannte die Nummer nicht, der Anrufer wurde als
Golden Way Market, Inc
. angezeigt.
»Wer ist das?«, fragte Nora.
»Ich vermute mal, die erste Person, die sich auf Ashleys Vermisstenaushang meldet.«
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Golden Way war ein chinesisches Lebensmittelgeschäft, das die englische Sprache so vehement ignorierte, dass ich, als ich mit dem beißenden Geruch von Fisch und Sesam in
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