Die amerikanische Nacht

zu lesen war, schwänzte J. L. einfach die Schule und ging zu einem Vorsprechen für die Fernsehserie »Combat!«. Der Besetzungschef verliebte sich in sie, doch ihm war klar, dass sie einen besseren Namen brauchte als dieses kaum aussprechbare
J. L. Endicott
.
    Er las damals zufällig gerade
The Big Sleep
von Raymond Chandler, in dem der berühmte Detektiv Philip Marlowe vorkam. Außerdem lag ein billiges Boulevardblatt aus Los Angeles vor ihm,
Confidential: Uncensored and Off the Record
, aufgeschlagen war ein Artikel über Howard Hughes’ angebliche Betäubungsmittelabhängigkeit.
    Daraus fügte er einen Namen zusammen, der einer
Movie Queen
würdig war:
Marlowe Hughes
.
    Marlowe feierte ihren Durchbruch 1966 in »Südwest nach Sonora« mit Marlon Brando (mit Brando hatte sie eine kurze Affäre), während Olivia über schlechtes Fernsehen nicht hinauskam. Sie spielte kleinere Rollen in »The Andy Griffith Show« und »Hawk«. 1969 war Marlowe ein Star und gleich in vier Filmen zu sehen. Ihr Name stand riesengroß auf den Plakatwänden am Sunset Boulevard. Olivia zog sich nach New York zurück, um ihr Glück am Theater zu probieren. 1978 wurde Marlowe auf Warren Beattys Bungalow Party im Beverly Hills Hotel dem gutaussehenden Michael Knight Winthrop du Pont vorgestellt, einem in Princeton ausgebildeten Footballspieler, Kriegshelden und Erben des DuPont-Vermögens, den Beatty als Vorlage für seine Darstellung des schneidigen Millionärs Leo Farnsworth in »Der Himmel kann warten« nahm. Alle nannten ihn
Knightly
, wegen seines makellosen Aussehens und seines altmodischen Charmes. Drei Monate später waren Marlowe und Knightly verlobt.
    Während Marlowes Leben so hell leuchtete, dass man es nur durch eine Sonnenbrille betrachten konnte, wurde es um Olivia immer dunkler. Ihr einziges Engagement fand sie als Zweitbesetzung in der Broadway-Produktion »Ring Around the Bathtub« von 1972 , die sofort nach der Premiere eingestellt wurde.
    Die Schwestern hatten angeblich dreizehn Jahre lang nicht miteinander gesprochen. Doch seit die eine an der Westküste und die andere an der Ostküste lebte, schien zumindest genügend Distanz zwischen ihnen zu sein.
    Und dann, am 25 . Oktober 1979 : ein verhängnisvoller Unfall.
    Marlowe war mit Freunden zum Reiten in Montecito, als ihr Pferd wegen eines Rasenmähers scheute. Es bäumte sich auf, ging durch und sprang über einen Zaun auf den Highway 101 . Marlowe wurde abgeworfen. Wie durch ein Wunder war nur ihr linkes Bein mehrfach gebrochen. Die Knochenbrüche waren jedoch so schwer, dass die Ärzte ihr zwei Monate Streckverband im Cedars-Sinai Hospital verordneten.
    Jeden Nachmittag kam Knightly zu ihr ans Krankenbett und las ihr vor. Als die zwei Monate um waren, entschieden die Ärzte, dass sie weitere Wochen bleiben müsse. Knightly kam weiterhin zu Besuch – bis er eines Tages zu spät kam. Am nächsten Tag kam er noch später, und am dritten Tag gar nicht mehr. Nach einer Abwesenheit von zehn Tagen, in denen Marlowe nichts von ihm hörte, tauchte er schließlich im Krankenhaus auf.
    Er verkündete, ihre Verlobung sei aufgelöst. Er entschuldigte sich, schluchzend vor Traurigkeit und Schuldgefühlen, und überreichte Marlowe einen Platinring mit einer schwarzen Perle. Eingraviert waren vier Worte:
Flieg weiter, schönes Kind
.
    Marlowe war am Boden zerstört. Die Krankenschwestern behaupteten, sie habe versucht, sich aus dem Fenster zu stürzen. Vier Wochen später, zwei Tage nach ihrer Entlassung, druckte die
New York Times
diese verblüffende Meldung: »Du Pont-Erbe ›Knightly‹ heiratet Olivia Endicott, Schauspielerin.«
    Sie feierten im privaten Kreis auf dem Familienanwesen im Hudson River Valley.
    Niemand, nicht einmal Beckman, wusste, wie Olivia das zustande gebracht hatte – wo sie Knightly getroffen und wie sie seine Liebe zu Marlowe, einer der schönsten Frauen der Welt, auf
sich
umgeleitet hatte, eine gewöhnliche Frau. Manche tippten auf Hypnose, sogar auf einen Pakt mit dem Teufel, der bereits mit dem folgenschweren Reitunfall begonnen hatte.
    Oder war es ganz einfach ein unglücklicher Zufall?
    Marlowe sprach nie öffentlich von dem Vorfall, doch Jahre später sagte sie, als man sie in einem Interview nach ihrer Schwester fragte: »Ich würde nicht mal auf sie pissen, wenn sie in Flammen stünde.«
    Sie
flog
tatsächlich weiter – oder versuchte es zumindest. Marlowe heiratete dreimal: 1981 einen Bühnenbildner, 1985 Cordova – ihre Ehe hielt nur