Die amerikanische Nacht
und spreche
nicht
rund um die Uhr nur über dich. Auch wenn ich zugeben muss, dass es mir wahnsinnig schwerfällt, weil du so ein
packendes
Thema bist.«
Mit Stu zu sprechen erforderte geistiges Anpassungsvermögen. Als vornehmer Engländer war er so gebildet und verfügte über ein so großes Vokabular, dass er selbst die kürzesten Unterhaltungen mit Ironie und Witz und Verweisen auf das aktuelle Zeitgeschehen würzte – es war, als würde man mit Jeeves sprechen, wenn dieser Moderator bei der BBC gewesen wäre.
»Wie erklärst du dir das dann?«, fragte ich.
»Keinen Schimmer. Wenn Olivia Endicott auf wunderbare Weise beschlossen hat, dass du als Ghostwriter ihrer Autobiographie fungieren sollst, dann mach es. Um Captain Smith zu zitieren, ›Schnappen Sie sich, was Sie können, und kämpfen Sie sich zu einem der Rettungsboote durch.‹ Jeder, der mit dem gedruckten Wort zu tun hat, wird sehr bald schon zum Nördlichen Kammmolch der Kultur. Erst hat es die Dichter getroffen, die Dramatiker, dann die Romanautoren. Als Nächstes sind erfahrene Zeitungsleute dran.«
»Soll mich das jetzt nervös machen?«
»Pack zu, wenn sich dir Arbeit anbietet, Alter. Deine Konkurrenz ist heute ein Vierzehnjähriger im Schlafanzug mit dem Benutzernamen
Truth-Ninja- 12
, der glaubt, Fakten zu checken bedeute, den Twitter-Kanal der Person zu lesen, über die er schreibt. Mach dir ruhig Sorgen.«
Ich versicherte Stu, dass ich Endicott anrufen würde, und legte auf.
»Uns ist gerade eine Möglichkeit in den Schoß gefallen, Marlowe Hughes zu finden«, sagte ich zu Nora und schob meinen Schreibtischstuhl zurück. »Das Timing kann kein Zufall sein. Jemand hat geredet. Jemand, mit dem wir gesprochen oder den wir bestochen haben.«
Nora sah verwirrt aus.
»Olivia Endicott du Pont will sich mit mir treffen.«
Nora runzelte die Stirn. »Wer ist
Olivia Endicott du Pont
?«
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»Sie waren Schwestern. Sie waren Schauspielerinnen. Und sie
verabscheuten
einander.«
Genauso leitete Beckman jedes Mal seine Lieblings-Hollywoodgeschichte ein – Die Geschichte der verfeindeten Endicott-Schwestern –, in den letzten Satz legte er einen solchen alttestamentarischen Ernst, dass man förmlich spüren konnte, wie sich der Himmel verdunkelte, sich die Wolken ergossen und am Horizont ein schwarzer Schleier von Heuschrecken aufzog.
Ich hatte Beckman die Geschichte mindestens fünfmal erzählen hören, jedes Mal nach drei Uhr nachts im Rahmen einer Dinnerparty mit seinen Studenten in seiner Wohnung, wenn er durch Wodka und ihre gespannte Aufmerksamkeit aufgekratzt war und ihm das schwarze Haar ins vor Schweiß glänzende Gesicht fiel.
Ich war immer dafür zu haben, mir die Endicott-Geschichte anzuhören, und zwar aus zwei Gründen: Erstens regten sich bekriegende Schwestern die Phantasie an. Beckman sagte immer: »Neben Marlowe und Olivia Endicott sehen Kain und Abel aus wie die Farrelly Brothers.«
Im Gegensatz zu anderen berühmten Fehden, wie denen zwischen Bette Davis und Joan Crawford, Liz Taylor und Debbie Reynolds, Olivia de Havilland und Joan Fontaine oder Angelina und Jennifer, hielten die Endicott-Schwestern das böse Blut zwischen sich vollständig aus den Schlagzeilen heraus – abgesehen von ein paar nicht namentlich zugeordneten Meldungen in Bill Dakotas
Hollywood-»Confidential«-Star
-Magazin. Diese Stille machte nur noch deutlicher, wie heftig der Streit zwischen den beiden war.
Zweitens hatte Beckman darstellerisches Talent und neigte dazu, alle Beteiligten nachzuspielen, als stünde er auf der Bühne des Nederlander Theaters. Jedes Mal waren sämtliche Details genau gleich, ohne einen einzigen neuen Aspekt oder eine weitere Ausschmückung. Die Geschichte war wie eine kostbare, mit Edelsteinen besetzte Halskette: Immer, wenn Beckman sie herausholte, glänzte jedes kostbare Detail an genau der Stelle, an der es schon immer seinen Platz hatte.
Ich hatte die Geschichte überprüft, als ich fünf Jahre zuvor mit der Recherche zu Cordova, und damit auch zu Marlowe Hughes, begonnen hatte. Sie war seine Hauptdarstellerin und drei Monate lang seine Frau gewesen, und der Star in Cordovas erschreckendem »Kinder der Liebe«. Jeder Name, jedes Datum und jeder Ort, den Beckman erwähnte, wurde von den öffentlichen Quellen bestätigt. Deshalb war ich zu dem Schluss gekommen, dass diese Erzählung der sich bekriegenden Schwestern wahr sein musste, so überzogen sie auch klang.
Olivia Endicott kam im April 1948 zur Welt und war
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