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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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essen.
    »Hat sie mit Ihnen gesprochen? Können Sie uns irgendwas über sie sagen?«
    »Keine Chance, Mann. Es gibt eine Regel für mich.«
    »Und welche?«
    »Nie in den Rückspiegel gucken.«
    »Nie?«
Wir drifteten langsam in die linke Spur und schnitten einem anderen Taxi den Weg ab.
    »Ist nicht gesund, wenn man guckt, was man hinter sich lässt.«
    Zehn Minuten später klapperten wir jede einzelne Straße zwischen der Madison und der Lexington Avenue ab. Das Taxameter tickte von zwanzig auf dreißig Dollar, dann vierzig.
    »Ah, ja!
Hier
sind wir richtig«, sagte Zeb und beugte sich übers Lenkrad, um die Reihen stiller Stadthäuser zu mustern, bis wir das Ende der Straße erreicht hatten. »
Scheiße
. Hab mich vertan.« Er seufzte frustriert und nahm sich dann gutgelaunt ein weiteres Stück Sesamhuhn. »
No worries
, Mann. Der nächste Block ist es.«
    Doch beim nächsten Block passierte wieder das Gleiche.
Und beim nächsten genauso.
    Weitere fünfzehn Minuten vergingen. Das Taxameter stand bei 60 , 25  Dollar. Nora nagte an ihren Fingernägeln, und Hopper hatte während der gesamten Fahrt noch kein Wort gesagt. Er saß zusammengesackt da und starrte aus dem Fenster.
    Als wir die East 71 st entlangrollten, war ich kurz davor, die Sache abzublasen, doch plötzlich stieg Zeb auf die Bremse.
    »Das ist es!« Er zeigte auf ein Gebäude auf der linken Seite.
    Es lag komplett im Dunkeln. Ein gewaltiges Stadthaus, das eher an eine Botschaft als an ein Wohnhaus erinnerte – aus blassgrauem Kalkstein und acht Meter breit. Es war verwittert und verwahrlost, die Treppenstufen waren laubübersät, und in der Doppeltür steckten die Angebotszettel von Lieferservices – ein sicheres Zeichen, dass seit Wochen niemand mehr dort gewesen war.
    »Hier sind wir schon vorbeigefahren«, sagte ich.
    »Wenn ich’s euch sage. Das ist das Haus.«
    »Gut.« Ich öffnete die Tür und wir stiegen aus. Ich gab Zeb achtzig Mäuse.
    »Hau rein,
Brother

    Zeb steckte sich das Geld gutgelaunt in die Hemdtasche, neben etwas, das wie ein gigantischer, halbgerauchter Joint aussah. Er drehte die Rolling Stones auf und fuhr los. Obwohl die Ampel schon auf Gelb gesprungen war – gelbe Ampeln waren für Zeb das Signal,
Vollgas
zu geben und zu
beten
 –, raste er mit dem lauten Scheppern lockerer Teile und mit stotterndem Getriebe auf die Park Avenue. Der Kofferraum setzte mit einem dumpfen Krachen auf, als er durch ein Schlagloch knallte, nach Süden abbog und uns allein in der stillen Straße stehenließ.

67
    Wir gingen auf die andere Straßenseite, um das Haus besser sehen zu können. Diese Seite war durch eine einzige schummrige Straßenlaterne beleuchtet. Hier stand ein Apartmenthochhaus, dessen Eingang sich in der Park Avenue befand, so dass wir von hier aus das Stadthaus beobachten konnten.
    Es war nach elf Uhr, das Viertel war menschenleer und still. New York mag die Stadt sein, die niemals schläft, aber die betuchten Bewohner der Upper East Side wurden schon um zehn in ihre maßangefertigten Betten gesteckt.
    »Sieht nicht so aus, als hätte da in den letzten Jahren jemand gewohnt«, stellte ich fest.
    Mir fiel auf, wie angespannt Hopper das Haus ansah. Sein Blick war nicht zu entziffern, doch ich spürte eine tiefsitzende Feindseligkeit, als hätte er in dieser schweren Pracht etwas gesehen, das er hasste.
    Das Haus trug seinen Reichtum tatsächlich ganz offen zur Schau, fünf Stockwerke, Dachgarten – über die oberste Brüstung ragten Äste hervor. Alle Fenster waren dunkel, einige mit schweren Vorhängen geschmückt, die Scheiben waren schmutzig. Ein schmaler überdachter Balkon lag vor den Fenstern des ersten Stocks, ausgestattet mit einem oxidierten Kupferdach und einem Geländer aus schwarzem Eisengitter. Doch trotz, oder wegen, aller Opulenz hatte das Stadthaus etwas Kaltes, Einsames an sich.
    »Sollen wir klopfen?«, fragte Nora.
    »Ihr beiden bleibt hier«, sagte ich.
    Ich überquerte die Straße und lief die Marmorstufen hinauf, die mit Laub und Müll übersät waren, Papierservietten, Zigarettenstummeln. Ich drückte die Klingel. Über der Klingelanlage fiel mir die schwarze Linse einer Überwachungskamera auf. Innen hörte ich die Klingel – ein schrilles Metallklirren wie im England des 19 . Jahrhunderts –, aber niemand reagierte.
    Ich zog das Papier heraus, das den Briefschlitz verstopfte: eine Speisekarte von Hamburger Heaven und zwei Werbezettel für einen 24 -Stunden-Schlüsseldienst. Sie waren

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