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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Dann traten sie zur Seite, damit wir auch Mao die Hand schütteln konnten.
    Ich holte meine Brieftasche hervor, dankte dem Vater und versuchte, ihm einen Hundert-Dollar-Schein zu geben, den er nicht annehmen wollte. So ging es gut zehn Minuten hin und her, doch seine Frau ließ das Geld keine Sekunde aus den Augen. Ich musste den Kerl dazu bringen, es anzunehmen. Wenn nicht, würde er, dem Blick seiner Frau nach zu urteilen, die Nacht nicht überleben.
    Schließlich gab er nach und ich drehte mich zu Großmutter Mao um, weil ich ihr noch ein paar Fragen stellen wollte. Doch die alte Dame war bereits lautlos von ihrem Stuhl aufgestanden und durch die Tür in den hinteren Teil des Ladens verschwunden.

66
    »Scheiße, Mann«, sagte der Taxifahrer, »habt ihr mich erschreckt. Ich dachte schon, ihr wollt mich abschieben.« Er lachte gackernd und zeigte dabei einen Satz strahlend weißer Zähne und einige Goldkronen. Er kratzte sich durch die rotgelbe Rastamütze, während er sich Ashleys Bild ansah.
    »Ja, klar. Wir sind von hier losgefahren.«
    »Wann?«, fragte ich.
    »So vor zwei Wochen?«
    »Welche Farbe hatte ihr Mantel?«, schaltete sich Nora ein.
    Er überlegte und rieb sich die grauen Stoppeln an seinem Kinn.
    »Grünbraun? Aber ich bin farbenblind, Mann.«
    Er nannte sich
Zeb
. Er war schwarz – seinem leichten Akzent nach vermutete ich, dass er aus Jamaika kam –, fast zwei Meter groß und schlank, aber zerzaust und krumm, wie eine Palme nach einem leichten Orkan.
    In der letzten Stunde hatten Nora und ich, während wir auf ihn warteten, einige grundsätzliche Informationen gesammelt. Er kam fünf Abende die Woche zum Essen in den Golden Way Market. Er aß draußen, gegen die Motorhaube seines Wagens gelehnt, und hatte immer das Fenster geöffnet, um laut Musik hören zu können. Dann fuhr er los, um seine Nachtschicht anzutreten, die gegen sieben Uhr morgens endete.
    »Als ich hier ankam«, sagte Zeb und kratzte sich am Kopf, »war sie da hinten und sprach mit der alten Lady. Ich hab mein Essen geholt. Sie ist mir nach draußen gefolgt.«
    »Und Sie haben sie irgendwohin gefahren?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie noch, wohin?«
    Er überlegte. »So’n Riesenhaus in der Upper East Side.«
    »Könnten Sie uns da hinbringen?«
    »Ah, nein.« Er hielt eine Hand hoch. »Wenn man fährt, verschwimmen diese ganzen Orte.«
    »Wir bezahlen Sie auch«, platzte Nora heraus.
    Er wurde plötzlich munter. »Ihr zahlt das Taxameter?«
    Nora nickte.
    »Okay. Klar. Das können wir machen.«
    Zeb grinste, als könne er sein Glück nicht fassen, nahm sich fröhlich einen Styroporbehälter und begann, ihn mit Nudeln, Frühlingsrollen und Sesamhuhn zu beladen – falls es wirklich Huhn war; das gräuliche Fleisch sah aus wie
Siopao
oder
Katze im gedämpften Teigmantel
, das ich in Hongkong einmal versehentlich gegessen hatte.
Erstaunlich, wie schnell Geld dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen kann.
    Nora und ich gingen nach draußen, um zu warten.
    »Das wird
teuer
«, murmelte ich und blickte die Market Street hinab. Ein einzelner Mann kam auf uns zu geschlurft. Ich erkannte den grauen Wollmantel und die Zigarette sofort.
    »Guck mal, wer sich doch noch entschieden hat zu kommen.«
    Nora zeigte ihre Besorgnis ganz offen und fragte ihn aus, wieso er uns am Morgen versetzt hatte. »Wir haben auf dich gewartet. Ich hätte fast die Polizei gerufen.«
    »Ich musste ein paar Dinge erledigen«, sagte Hopper wenig überzeugend.
    Er sah aus, als sei er die ganze Nacht aufgewesen. Mir wurde langsam klar, dass der Schlüssel zu seinem Verhalten in seiner eigenen Beschreibung von Morgan Devold lag:
Der kommt wieder. Er kann nicht anders. Er will unbedingt über sie reden.
    Nora brachte ihn schnell auf den neuesten Stand. Kurz darauf rasten wir die Park Avenue entlang, zu dritt zusammengepfercht auf der Rückbank eines Taxis, dessen Lenkrad mit blauen Zotteln überzogen war und von dessen Rückspiegel mehr Goldketten baumelten als von Mr Ts Hals. Ich beugte mich vor, um mir Zebs Ausweis anzusehen. Sein vollständiger Name lautete
Zebulaniah Akpunku
. Auf dem Beifahrersitz lag ein abgegriffenes Taschenbuch mit dem Titel
Steppin’ Into the Good Life
.
    »Ist Ihnen an dem Mädchen irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, fragte ich Zeb durch die kugelsichere Glasabtrennung.
    Er zuckte mit den Schultern. »Sie war weiß. Die sehen irgendwie alle gleich aus.« Er wieherte fröhlich und beruhigte sich erst wieder, um einen Bissen zu

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