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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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gewesen und erst vor Tagen freigelegt worden.
    Ich ging zu einer der Türen, um nachzusehen, ob es Klingeln für die einzelnen Wohnungen gab, und fand zu meinem Erstaunen sofort diesen Namen – VILLARDE  –, der sorgfältig mit schwarzem Stift neben die Klingel für den ersten Stock geschrieben war.
    Andere Namen gab es nicht.
    »Er muss direkt über dem Laden wohnen«, sagte Hopper ruhig, während er zum Gebäude aufsah.
    Die erste Etage war die einzige mit intakten Fenstern. Sie waren hoch und schmal, die Scheiben schmutzig, doch durch eines konnte ich gelbe Gardinen und einen Terracottatopf mit einer kleinen grünen Pflanze erkennen.
    »Scott.« Sam zog fest an meinem Arm.
»Scott.«
    »Ja, Schatz.«
    »Wer ist der Mann?«
    Sie zeigte auf Hopper.
    »Hab ich dir doch erzählt, Süße. Das ist Hopper.«
    Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ist er ein Freund?«
    »Ja.«
    Sie schob den Unterkiefer zur Seite und dachte angestrengt nach. Dann sah sie Nora skeptisch an, die zur anderen Tür gegangen war und prüfte, ob sie geöffnet war.
    »Abgeschlossen«, flüsterte Nora und beschattete ihre Augen mit der Hand, um durch eines der Fenster zu blicken.
    Sam trug ihre Schuluniform der Spence School – weiße Bluse, grünblau karierter Pullover –, aber Cynthia hatte natürlich ein paar Details aus ihren Lieblingsfilmen hinzugefügt: ein schwarzer Mantel mit Puffärmeln, eine Samtspange in den Locken, schwarze Lackschuhe. Seit wir Sam abgeholt hatten, war sie schüchtern und wachsam gewesen – vor allem Hopper gegenüber. Außerdem war sie extrem wuselig, sie schlurfte, hüpfte an meinem Arm auf und ab und legte ihren Kopf ganz weit in den Nacken, wenn sie mich etwas fragte – all das sagte mir, dass die Wirkung des Zuckers gerade rapide nachließ und sie etwas zu essen brauchte.
    »Drinnen ist es dunkel«, sagte Nora, die immer noch durch das Fenster sah.
    »Wie viel Uhr ist es?«, fragte ich.
    Hopper sah auf sein Handy. »Zehn nach vier.«
    »Lasst uns eine Viertelstunde warten.«
    Wir gingen in westlicher Richtung zur Lexington Avenue und betraten das East Harlem Café. Ich kaufte Sam einen Müsliriegel und erklärte ihr noch einmal, dass wir auf einer Exkursion waren und wir anschließend Hot Fudge Sundaes im Serendipity  3 essen würden. Sie hörte mir kaum zu und tat nur so, als würde sie an ihrem Müsliriegel knabbern. Hopper hatte es ihr angetan. Mir wurde diese große Faszination erst klar, als er sich anstellte, um noch einen Kaffee zu holen.
    »Willst du sehen, wie ich von hier nach dahinten hüpfe?«, fragte Sam ihn und zeigte auf den Boden.
    Hopper warf mir einen verunsicherten Blick zu. »Äh,
ja klar

    Sam stellte sich mit beiden Füßen am Rand einer der orangefarbenen Bodenfliesen auf. Sie versicherte sich, dass Hopper auch wirklich genau zusah, und hüpfte dann einmal durch das komplette Café. Erst bei der Auslage mit Kaffeebechern blieb sie stehen.
    »Das war toll«, sagte Hopper.
    »Willst du sehen, wie ich von da nach da und da rüberhüpfe?«
    »Auf jeden Fall.«
    Sie holte tief Luft und hielt den Atem an – als würde sie gleich ins Wasser springen –, dann hopste sie mit Froschsprüngen von Fliese zu Fliese in die andere Richtung. Sie blieb stehen und sah ihn an.
    »Super«, sagte Hopper.
    Sam strich sich ihre Locken aus dem Gesicht und hüpfte weiter.
    Sollte es hart auf hart kommen, könnte ich draußen mit ihr warten. Es war eine belebte, sonnendurchflutete Straße mit Bäumen und jeder Menge Verkehr. Selbst wenn die Spinne sich als Wahnsinniger herausstellen sollte, konnte er uns
jetzt
nichts tun – nicht am helllichten Tag.
    Zehn Minuten später gingen wir zurück zu
The Broken Door
. Nichts schien sich geändert zu haben. Das Garagentor war immer noch geschlossen, die Fenster dunkel.
    Hopper drehte am Knauf der schmalen Holztür – und diesmal öffnete sie sich. Ich trat hinter ihn.
    Es war ein schlecht beleuchtetes Lager voll dicht gestapelter Antiquitäten, Stühle auf Tischen auf Wagenrädern, so dass der Weg durch den Laden sich nicht sofort erschloss. Selbst die Tür ließ sich nicht vollständig öffnen, weil der Durchgang von einer mit Vogelscheiße verkrusteten Vogeltränke, einer rostigen Sonnenuhr und ein paar verbeulten Schrankkoffern versperrt war, auf
denen
wiederum ein Radio aus der Eisenhower-Ära, verblasste Bronzelampen mit gelben Lampenschirmen und Stapel alter Zeitungen lagen.
    Hopper und Nora quetschten sich durch die schmale Lücke und

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