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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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einem schwachen roten Licht zu sehen.
Hoffentlich war das der Weg hinaus.
    *
    Ab und an blieb ich stehen und lauschte, doch ich hörte nur das Jaulen des Windes, der weit über mir über das Dach der Tonbühne fegte. Egal wie weit ich ging, das rote Licht blieb beharrlich,
hartnäckig
weit entfernt. Ich fragte mich, ob ich halluzinierte oder ob der Betonfußboden dieser Lagerhalle ein riesiges Laufband war und ich gar nicht vom Fleck kam. Einmal roch ich, merkwürdigerweise,
Salzwasser
, gemischt mit dem Geruch nach Algen und Sand. Das musste ein weiteres Filmset sein, das hinter dem Gerüst links von mir aufgebaut war, aber es war zu hoch, um darübersehen zu können.
    Ich konnte das rote Licht näher kommen sehen und spürte plötzlich eine nervenaufreibende Neugier, zu erfahren, was es war. Marlowe Hughes Vorstadt-Fertigpalast aus »Kind der Liebe«? Das Bordell, in dem Annie in »In der Nacht sind alle Vögel schwarz« nach ihrem Vater sucht? Archers Klubhaus-im-Güterwagen aus »Das Vermächtnis«?
    Ich bog um die Ecke.
    Es war das Gewächshaus aus »Warte hier auf mich«.
    Was hatte Beckman darüber gesagt?
»Wenn es je eine Kulisse gab, die das kranke Hirn eines Psychopathen perfekt zum Ausdruck gebracht hat, dann war es nicht das Bates Motel, sondern das Gewächshaus der Familie Reinhart, mit seinen verschimmelten Glaskuppeln und den rostigen Eisenstreben, den tropischen Pflanzen, die darin sprießen wie Amok laufende, hinterlistige Gedanken. Der schmale Sandweg schlängelt sich durch die Blätter wie der letzte Rest Menschlichkeit, der bald bis zur Unsichtbarkeit schrumpft.«
    Das Gewächshaus war eine rechteckige, kuppelförmige Konstruktion aus Glasscheiben und blassgrün oxidiertem Eisen. Es war den königlichen Gewächshäusern in Brüssel nachempfunden. Es lag in trauter Abgeschiedenheit in einem dichten mittelalterlichen Wald von Douglastannen – der Effekt war auch hier durch bemalte Leinwände erreicht worden. Das intensive rote Licht kam aus dem Inneren des Gewächshauses, und dann erinnerte ich mich – natürlich – an den Film.
    Es waren die roten Pflanzenleuchten.
    Ich wartete, bis ich mir sicher war, allein zu sein, und trat auf den Rasen vor, dessen silbernes Gras unter meinen Stiefeln knirschte. Ich blickte irritiert hinab, denn es sah ganz echt aus, als sei es von Morgentau überzogen. Ich bückte mich, um das Gras zu berühren. Es war
Plastik
, und der Tau war mit glänzendem Lack auf jeden einzelnen Halm gesprüht worden.
    Ich erreichte den Pfad und folgte ihm zur Stahltür des Gewächshauses – der
Hintertür
, wenn ich es richtig in Erinnerung hatte. Das Glas war durch den Dreck und jahrzehntelange Kondensation blind geworden. Die Schatten dunkler Blätter drückten sich gegen die Scheiben wie die Hände und Gesichter eingeschlossener Menschen, die verzweifelt zu entkommen versuchten.
    Ich griff den eisernen Türknauf – der, wie mir auffiel, in der Form eines eleganten und ziemlich finsteren »R« für Reinhart gestaltet war – und drückte die Tür auf.
    *
    Ein brühend warmer Stoß Luftfeuchtigkeit traf mich ins Gesicht.
    Darin musste es mindestens fünfunddreißig Grad heiß sein.
    Ein Weg aus perfekt weißem Sand führte von der Tür weg, doch schon nach wenigen Metern überwucherten dunkle Pflanzenwulste alles kreuz und quer, so dass der Weg nicht mehr zu erkennen war. Unter der Decke hingen grüne Metallrahmen, von denen reihenweise kirschrote und blaue Lampen herabstrahlten. Dadurch wirkte das Gewächshaus wie ein gigantischer Ofen auf Grillen.
    In »Warte hier auf mich« kümmerte sich Popcorn, der langjährige taubstumme Gärtner der Reinharts – Hauptverdächtiger der Leadville-Morde, der sich später als unschuldig erweisen sollte – liebevoll um diese Pflanzen. Als ich mich umsah, fiel mir zu meinem Unbehagen auf, dass sie
ganz genau
so aussahen wie in dem Film. Ich griff nach einem riesigen, glänzenden schwarzen Blatt und rieb an der Oberfläche, um zu sehen, ob es echt war. Es war echt.
    »Warte hier auf mich« war, daran erinnerte ich mich, 1992 gedreht worden. Die Glühbirnen dieser Pflanzenlampen hätten keine zwanzig Jahre gehalten.
    Jemand musste regelmäßig herkommen und sich um die Pflanzen kümmern.
    Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter, doch ich schob die Tür entschlossen ganz auf und trat hinein. Ich wollte die Tür offen stehen lassen, um einen Teil der Hitze entweichen zu lassen.
    Außerdem war ich auch nicht besonders scharf darauf, hier

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