Die amerikanische Nacht
mich, dass Brad einen Safe hatte, den er ständig aufschloss, doch der befand sich in seinem Arbeitszimmer, das nicht in diesem Set zu sein schien. Vom Schlafzimmer ging eine Tür ab, die im Film in das Badezimmer führte, doch als ich sie öffnete, war dahinter nur eine schwarze Wand.
Ich klappte den Aktenkoffer zu und legte ihn an seinen berühmten Platz unter dem Bett zurück. Dann rollte ich das blutdurchtränkte Kinderhemd zusammen und steckte es mir in die Gesäßtasche; ich wollte es auf keinen Fall verlieren und hielt es für das Sicherste, es am Körper zu tragen. Ich schaltete die Lampe aus und ging über den Flur zurück.
Ich durchwühlte meine durchnässten Sachen, die neben dem Sofa verstreut lagen, und fand meine Kamera in der Jackentasche. Zum Glück hatte ich darauf geachtet, sie trocken zu halten, denn sie funktionierte noch, im Gegensatz zu meinem Handy und der Taschenlampe. Beide waren tot. Ich machte einige Aufnahmen von Wohnzimmer und Kochnische – die komplett mit Siebziger-Jahre-Produkten ausgestattet war: Kraft-Schmelzkäse (auch nach dreißig Jahren noch essbar), Dr Pepper und Swift Sizzlean Schinkenspeck –, dann ging ich ans Ende des Wohnzimmers und blickte in die Halle hinein.
Im Licht der Stehlampe konnte ich erkennen, dass die Tonbühne noch viel weiter ging. Hinter dem Sofa stützte ein Stahlgerüst etwas –
wahrscheinlich ein weiteres Filmset
–, das auf der anderen Seite aufgebaut war.
Nach einem Moment der Verwirrung merkte ich, dass ich noch immer zitterte. Meine Jacke war immer noch nass, also ging ich, nachdem ich mir die Wanderstiefel geschnürt hatte, zur Haustür, schnappte mir Brad Jacksons Fischgrätmantel vom Stuhl und zog ihn an – auch jetzt erlaubte ich mir nicht, mir die Absurdität des Ganzen vor Augen zu halten, dass ich den Mantel eines Mannes trug, der möglicherweise ein Psychopath gewesen war.
Hoffentlich war es nicht ansteckend.
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie nach dem Eintauchen im Pool stehengeblieben war. Sie zeigte noch 19 : 58 Uhr an, und das konnte nicht stimmen. Es musste später sein.
Und dann setzte ich meinen Rucksack auf, trat aus »Daumenschraube« hinaus und folgte dem Gerüst, um herauszufinden, was sonst noch in dieser gewaltigen Tonbühne aufgebaut war, welche anderen Welten aus Cordovas tückischem Kopf ich noch durchsuchen konnte wie ein Archäologe, der nach Knochen gräbt.
*
Als es zu dunkel wurde, um noch etwas zu sehen, machte ich ein Foto mit Blitz und sah es mir auf dem Bildschirm der Kamera an.
Links von mir hatte man einen riesigen roten Vogel krude an die Wand gesprüht. Den hatte ich schon in Artikeln über Cordova gesehen.
Cordovas Fans benutzten ihn, um die Präsenz des Mannes heraufzubeschwören, ein anonymes Zeichen, das ihn zur Rückkehr aufforderte.
Ich ging weiter, um das Ende des Gerüstes herum, und gelangte in einen offenbar riesigen Raum. In der Dunkelheit konnte ich vor mir einen enormen Berg aus Felsbrocken erkennen. Ich machte wieder ein Foto und stellte fest, dass der Berg aus Müll bestand, die Felsbrocken waren korrodierte Benzinfässer, die wie riesige Pilze aus dem Boden wuchsen.
Ich lief hinüber und stieß genau gegen ein Holzschild.
MILFORD GREENS MÜLLDEPONIE
ZUTRITT VERBOTEN
GEFAHR
Ich befand mich in »La Douleur«.
Die sanftmütige und unscheinbare Heldin des Films, Leigh – tagsüber Rezeptionistin in einem Autohaus, am Abend Studentin an einem
Community College
–, erklärt sich bereit, den Mann ihrer besten Freundin zu bespitzeln. Dabei verliebt sie sich nicht nur in ihn – einen gebürtigen Deutschen namens Axel –, sondern wird zudem auf gefährliche Weise in seine dunklen Geschäfte verwickelt.
In der ersten Nacht folgt sie seiner kastanienbraunen Mercury Grand Marquis-Limousine quer durch die ganze Stadt und landet kurz vor Sonnenaufgang hier, auf der Milford Greens Mülldeponie. Leigh beobachtet, wie Axel sein Auto abstellt und zu Fuß über die Müllhalde geht, während um ihn herum Schwärme von Möwen wie kreischende Abgase vom Abfall aufsteigen.
Er trägt eine kleine Tüte im unverkennbaren Blaugrün von
Tiffany’s
, dem Juwelier. Gebannt schleicht Leigh hinter ihm her, wobei ihr Haar zersaust wird und ihr die altmodische Bluse aus dem Rock rutscht. Sie steigt in einen alten Leichenwagen, um den Mann zu beobachten, der den Hügel zu einem umgestürzten Schulbus hinaufklettert. Nachdem er eine Papiertüte hinter dem Vorderrad hervorgeholt hat,
Weitere Kostenlose Bücher