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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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bückte mich.
    Da war etwas tief im Boden vergraben.
    Ich kämpfte gegen die Übelkeit an – das musste diese erdrückende Hitze sein, und die roten Lampen, die jede Pflanze und Blume, sogar meine eigenen Hände blutgetränkt aussehen ließen – und trieb die Hacke senkrecht in den Boden. Sie verfing sich in ein paar Wurzeln. Ich hockte mich hin und riss mit Gewalt einige der Pflanzen aus. Blätter und Zweige schüttelten sich, wie aus Protest, vor meinem Gesicht.
    Ich konnte mit den Händen spüren, dass da etwas versteckt lag, etwas Hartes.
    Etwas Menschengroßes. Popcorn?
    Es ergab keinen Sinn. Am Ende des Filmes war Popcorn entlastet und in Sicherheit. Er verwahrte das Geheimnis des Mörders, und wenn irgendwer ein Geheimnis bewahren kann, dann ein stummer Mann.
Aber was zur Hölle war dann hier vergraben?
Warum waren sein Kompass und die Cracker Jacks – die beiden Dinge, ohne die der Gärtner bekanntermaßen nirgendwo hinging – hier versteckt? Hatte der Mörder beschlossen, ihn umzubringen?
Oder hatte Cordova es getan?
    Mein Kopf drehte sich, als ich plötzlich, irgendwo weit entfernt, einen dumpfen Schlag wahrnahm.
Es klang wie eine zugeschlagene Tür.
Ich rappelte mich hoch.
    Ich konnte ganz schwach die Schritte von mehr als einer Person hören – es waren zwei, vielleicht drei. Sie klangen im Lagerhaus nach, bewegten sich schnell voran, eilten wahrscheinlich gerade die schmalen Korridore zwischen den Filmsets entlang.
    Ich war nicht mehr allei
n. Einige Sekunden lang versuchte ich, diese neue Realität auszublenden und buddelte verzweifelt mit bloßen Händen weiter im Blumenbeet.
    Ich musste nur sehen, was dort vergraben war. Ich grub Pflanzen aus, warf sie zur Seite, wühlte mich durch die Erde, bis meine Finger etwas spürten.
    Es fühlte sich an wie Jeansstoff.
Popcorns Overall.
    Ich tastete nach meiner Kamera, aber merkte dann, dass ich sie idiotischerweise in Brads Fischgrätmantel gelassen hatte. Um zu heben, was hier vergraben lag, war es nötig, das gesamte Blumenbeet abzutragen.
    Ich hielt inne und lauschte.
    Die Schritte wurden lauter. Sie wussten, dass ich hier war.
    Ich musste später wiederkommen.
    Ich trat aus dem Beet heraus und raste um den Teich zum Schuppen zurück. Ich schnappte mir Brads Mantel, zog ihn an und warf mir den Rucksack über die Schulter. Dann kämpfte ich mich durch das Dickicht bis zur Hintertür des Gewächshauses zurück.
    *
    Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit und blickte auf den menschenleeren Rasen. Dann sprintete ich hinaus und atmete gierig die eiskalte Luft ein. Ich war froh, dieses mörderische rote Licht, diese tropische Hitze hinter mir zu lassen und lief in die erfrischende Dunkelheit der Tonbühne hinein.
    Ich erstarrte. Das Gebäude schien vor lauter Schritten Schluckauf zu haben. Sie kamen offenbar auf demselben Weg, auf dem ich zu »Warte hier auf mich« gekommen war.
    Ich brach in die andere Richtung auf und verließ das Set auf einem gepflasterten Weg, der mich an einen breiten, einsamen Strand mit weißen Dünen und struppigem Dünengras brachte. Weit vor mir ragte ein Strandhaus auf Stelzen bis in den Himmel hinein.
    Das war das Haus von Kay Glass in »Klein und Böse«.
    Ich lief durch den Sand auf das Haus und dann auf den mondbeschienenen Ozean zu. Ich hatte das Gefühl, dass mich
dieses
Filmset zurück zu den Jacksons bringen würde – und damit hoffentlich hier raus.
    Plötzlich kam eine dunkle Gestalt mit einer Taschenlampe über die Dünen – und
direkt
auf mich zu.
    Ich fuhr herum und verließ das Filmset durch den nächstbesten Ausgang, den ich finden konnte. Ich fand mich mitten auf einer unbelebten Straße wieder.
    Es war die Hauptstraße einer kleinen Stadt, einer Geisterstadt, die ich nicht erkannte, obwohl ich durch die rot-grün blinkende Weihnachtsbeleuchtung über der Straße alles genau erkennen konnte.
    Ich lief an dunklen Ladengeschäften vorbei.
    SILVERDOLLAR SALOON .
    SUNSHINE LEBENSMITTEL .
    PASTIME GENTLEMAN’S CLUB . NUR FÜR MITGLIEDER .
    Hinter mir konnte ich jemanden rennen hören. Ich sprang auf den Gehsteig und lief zum Dream-a-lot Kino, schob die Tür auf und rannte am Popcorn- und Getränkestand vorbei über einen schmalen Flur. In den Kinosälen lief »Deformation« um 23 : 30  Uhr und »Die Jagd nach dem Roten« um 24 : 00  Uhr.
    Ich riss die erste Tür auf und landete, Gott sei Dank, wieder im Lagerhaus. Ich rannte direkt vor etwas Hartes, eine Wand aus Beton. Ich lief daran entlang und sah mich

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