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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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erkennen ließ, dass er mir weder traute noch mich besonders mochte – sein Telefon ans Ohr.
    »Halt die Augen offen, Starsky«, sagte er und ging.
    Ich wartete, bis er sich am Fenster vorbeigeduckt hatte und nicht mehr zu sehen war. Ich bezweifelte, ihn je wieder zu sehen – genauso wenig wie Hannah Montana. New York würde schon dafür sorgen, dass diese beiden auf der Strecke blieben. Das war das Großartige an dieser Stadt: Sie war durch und durch machiavellistisch. Man musste sich kaum Sorgen machen, dass jemand etwas zu Ende brachte oder weiterverfolgte oder auf andere Weise konsequent handelte, und dafür waren nicht die Menschen selbst verantwortlich, sondern die schiere Gewalt des Lebens in dieser Stadt. New York überschwemmte seine Bewohner jeden Tag mit einer mächtigen Flutwelle, und nur die Stärksten – die mit dem Willen eines Spartakus – hatten die Kraft, nicht nur zu schwimmen, sondern auch ihren Kurs beizubehalten. Dies galt für den Beruf genauso wie fürs Privatleben. Die meisten Menschen landeten schon nach wenigen Monaten weit, weit weg von dem Ort, der einmal ihr Ziel gewesen war. Sie steckten im stacheligen Unterholz eines Sumpfes fest, obwohl sie doch direkt aufs offene Meer hinauswollten. Andere gingen ganz unter (wurden drogenabhängig) oder retteten sich an Land (zogen nach Connecticut).
    Doch die beiden waren mir nützlich gewesen.
    Damals in der Nacht war ich Ashley Cordova begegnet.
Ich dachte, ich hätte selbst entschieden, ihren Tod zu untersuchen, doch so unglaublich es auch war, sie war erst zu mir gekommen und hatte sich wie ein Splitter in mein Unterbewusstsein gerammt. Ich musste mir den genauen Ablauf noch einmal ansehen, aber soweit ich mich erinnerte, hatte die Begegnung am Reservoir See gut eine Woche vor ihrem Tod stattgefunden. Ich musste sie wenige Tage nach ihrer Flucht aus der psychiatrischen Klinik Briarwood Hall gesehen haben.
    Was hatte sie gewollt? Wie hatte sie überhaupt gewusst, dass ich da sein würde?
Niemand wusste, dass ich mitten in der Nacht im Central Park joggen ging – außer Sam. Vor Monaten hatte sie, als ich sie ins Bett brachte, gesagt, ich sei »so weit weg«, und ich hatte geantwortet, das stimme nicht, weil ich in ihrer Gegend laufen ging. Bei jeder Runde konnte ich durch ihr Fenster sehen, dass sie gesund und munter in ihrem gemütlichen Bett lag. Das war natürlich übertrieben; ich konnte das protzige Apartment von Cynthia und Bruce in der Fifth Avenue genauso wenig sehen wie den Eiffelturm, aber der Gedanke hatte ihr gefallen. Sie hatte die Augen geschlossen, gelächelt und war sofort eingeschlafen.
    Die einzige mögliche Erklärung war, dass Ashley mir gefolgt war. Bestimmt kannte sie mich durch die Klage ihres Vaters. Es war denkbar, dass sie mich ausfindig gemacht hatte, um mir etwas mitzuteilen – vielleicht etwas über ihren Vater, eine Entschuldigung, eine Erklärung –, sie dann aber der Mut verlassen hatte.
    Allerdings schien Schüchternheit, nach dem, was mir Hopper erzählt hatte, kein wesentlicher Charakterzug Ashleys gewesen zu sein.
Ganz im Gegenteil.
    Ich musste zurück nach Hause in die Perry Street: Erstens, weil ich einen Ausflug nach Briarwood vorbereiten wollte, um dort mehr über Ashleys Aufenthalt in der Klinik zu erfahren. Außerdem wollte ich die URL der Blackboards ausprobieren, die ich von Beckmans Computer geklaut hatte.
    Ich packte die
Whole-Foods
-Tüte und verließ den Diner. Die Sonne schien und verteilte ihr grelles Licht auf die Autos, die die 11 th Avenue entlangrasten. Doch das Licht konnte das Unbehagen nicht lindern, das mir der so einfache wie erstaunliche Umstand bereitete, dass der rote Mantel, dieser rote Stich aus der Nacht am Reservoir See, ein letztes Mal vor mir aufgetaucht war.
    In meinen eigenen Händen.
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    Unter Verwendung des Originals © Andreiuc 88 /Dreamstime.com
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    Unter Verwendung des Originals © Parkinsonsniper/Dreamstime.com
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14
    Am nächsten Morgen stand ich eine Stunde, bevor ich zur dreistündigen Fahrt nach Briarwood aufbrechen wollte, in der Küche und kochte Kaffee, als es an der Wohnungstür klopfte.
    Ich ging in den Flur und sah durchs Guckloch.
    Nora Halliday stand direkt vor meiner Tür.
    Ich hatte keine Ahnung, wie zur Hölle sie herausgefunden hatte, wo ich wohnte, doch dann fiel es mir ein: Es stand auf der Visitenkarte, die ich ihr im Four

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