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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Cordovas langjährige Kostümdesignerin. Ich wollte dieses Detail gerade erwähnen, als mir ein langes, dunkles Haar auffiel, das in einem länglichen »S« am Ärmel klebte.
    »Wieso hast du die Bullen angelogen?«, wollte Hopper von Nora wissen.
    »Ich sag es euch. Unter einer Bedingung. Ich will bei der Recherche dabei sein.« Sie sah mich an. »Du hast gestern gesagt, du recherchierst zu Ashley.«
    »Das ist keine große Sache«, sagte ich, räusperte mich und schaffte es, meinen Blick vom Mantel zu lösen und Nora anzusehen. »Ich recherchiere eigentlich zu ihrem Vater. Und Hopper ist nur heute mit dabei. Wir sind keine Partner.«
    »Natürlich sind wir das«, widersprach er mir schnippisch und sah mich scharf an. »Und klar, auf jeden Fall. Willkommen im Team. Sei unser verdammtes Maskottchen. Wieso hast du die Polizei angelogen?«
    Nora starrte ihn an, scheinbar hatte seine Bestimmtheit ihr den Atem verschlagen. Dann sah sie mich an und wartete auf meine Reaktion.
    Ich sagte
nichts
, denn ich versuchte noch immer zu verstehen, was es
bedeutete
, diese Begegnung mit Ashley. Ich holte tief Luft und versuchte zumindest so
zu tun
, als würde ich über ihren Wunsch nachdenken. Um das klarzustellen, nur über meine Leiche würde ich je eine Assistentin einstellen – vor allem keine, die gerade erst aus der tiefsten Provinz Floridas gekrochen war.
    »Das hier ist nicht das Abenteuer deines Lebens«, sagte ich. »Ich bin nicht Starsky. Er ist nicht Hutch.«
    »Wenn ich nicht von Anfang bis Ende einbezogen werde, herauszufinden,
wer
oder
was
für Ashleys
vorzeitiges
Ableben verantwortlich ist«, – sie sprach all das so überdeutlich aus, als hätte sie es sechzigmal vor dem Badezimmerspiegel geprobt –, »dann sage ich euch nicht, wie sie so war oder was sie getan hat, und ihr beide könnt gleich verschwinden.« Sie zog den Mantel zu sich zurück und begann, ihn in die Tüte zu stopfen.
    Hopper sah mich gespannt an.
    »Man muss das ja nicht gleich so schwarzweiß sehen«, sagte ich.
    Sie ignorierte mich.
    »
Okay.
Du kannst mitmachen«, sagte ich.
    »Schwörst du’s?«, fragte sie lächelnd.
    »Ich schwöre.«
    Sie reichte mir die Hand und ich schüttelte sie – dabei hielt ich in meiner Vorstellung die Finger gekreuzt.
    »An dem Abend war nicht viel los«, erzählte sie eifrig. »Es war nach zehn. In der Lobby war niemand. Sie kam
damit
herein, natürlich fiel sie mir sofort auf. Sie war sehr schön. Aber richtig dünn, mit fast durchsichtigen Augen. Sie sah mich direkt an, und mein erster Gedanke war,
wow, ist die hübsch
. Ihr Gesicht wirkte schärfer als alles andere in dem Raum. Aber als sie sich umdrehte und direkt auf mich zukam, hatte ich Angst.«
    »Wieso?«, fragte ich.
    Sie biss sich auf die Lippe. »Wenn man in ihre Augen sah, war es, als hätte sich der menschliche Teil abgelöst und als schaute etwas anderes aus ihr heraus.«
    »
Was
denn?«, warf Hopper ein.
    »Keine Ahnung«, sagte sie und blickte starr auf ihren Teller. »Sie schien nicht zu blinzeln. Oder auch nur zu atmen. Nicht, als sie den roten Mantel auszog, nicht, als sie ihn mir reichte, nicht, als ich ihr die Marke gab. Als ich den Mantel auf den Ständer hängte, konnte ich ihren Blick auf mir spüren. Als ich mich wieder umdrehte, dachte ich, sie würde noch dastehen, aber sie war schon auf dem Weg nach oben.«
    Auch ich war Zeuge dieser verblüffenden Art sich zu bewegen geworden, als sie plötzlich in der Subway erschienen war.
    »In dem Augenblick kamen andere Gäste. Während ich ihre Mäntel entgegennahm, fiel mir auf, dass sie die Treppe wieder hinunterkam. Sie sah mich nicht an und ging direkt hinaus. Ich dachte, sie wollte draußen rauchen. Ich habe sie nicht wieder reinkommen sehen und nahm an, dass ich sie übersehen hatte, aber als das Restaurant in der Nacht schloss, hing ihr roter Mantel immer noch da. Als einziger.«
    Sie trank schnell einen Schluck Wasser.
    »Drei Tage vergingen«, fuhr sie fort. »Jede Nacht, wenn ich die Garderobe dichtmachte, legte ich ihren Mantel in die Fundsachenkiste. Wenn ich am nächsten Tag reinkam, nahm ich ihn wieder heraus und hängte ihn auf. Ich war
sicher
, dass sie wiederkommen würde, um ihn abzuholen. Aber ich hatte auch Angst davor.« Sie hielt inne und steckte sich das Haar hinter die Ohren. »Als meine Schicht am vierten Tag zu Ende war, war es draußen kalt, und ich hatte nur diese blaue Windjacke. Deshalb habe ich, nachdem ich alles abgeschlossen hatte, ihren Mantel nicht zu

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