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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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struppig.
    »Du bist also Schauspielerin?«, fragte ich, während ich mich auf den Sitz neben Hopper fallen ließ.
    Sie nickte lächelnd.
    »Wo hast du mitgespielt?«, fragte Hopper.
    Die Frage ließ ihren Blick verwirrt zu ihm schlittern, bevor er zurück zu mir schlingerte. Selbst
ich
wusste, dass man einer Schauspielerin kaum eine gemeinere Frage stellen konnte.
    »Nirgendwo.
Noch.
Ich bin erst seit fünf Wochen Schauspielerin. Seit ich in der Stadt bin.«
    »Wo kommst du her?«, fragte ich.
    »Saint Cloud. Aus der Nähe von Narcoossee.«
    Ich konnte nur nicken, weil mir
Narcoossee
nichts sagte. Es klang nach einem Indianerreservat mit Spielcasino, wo man Craps spielen und einer Crystal-Gale-Imitatorin dabei zusehen konnte, wie sie »Brown Eyes Blue« sang. Doch Nora lächelte unbefangen, klappte ihren Text zu und berührte die Titelseite, als sei es die Heilige Bibel – es handelte sich um
Hanglage Meerblick
von David Mamet.
    »Tut mir leid, dass ich gestern so unhöflich war«, sagte sie zu mir.
    »Entschuldigung angenommen«, sagte ich.
    Mit einem kaum merkbaren Stirnrunzeln strich sie mit beiden Händen förmlich über den Tisch und fegte ein paar Toastkrümel auf den Boden. Dann öffnete sie die
Whole-Foods
-Tüte neben sich und blickte prüfend hinein, als sei darin etwas Lebendiges. Sie griff mit beiden Händen in die Tüte und zog behutsam ein unförmiges rotschwarzes Bündel heraus, das sie auf den Tisch legte und mir zuschob.
    Ich erkannte es sofort.
    Es war ein Damenmantel. Für einen Augenblick lösten sich das Diner und alles darin in Luft auf. Es gab nur dieses eine Kleidungsstück, das so brutal rot war und mich niederstarrte. Er sah aus wie ein Kostüm, verschnörkelt und ein wenig russisch – roter Wollstoff, die Bündchen aus schwarzer Lammwolle, die Vorderseite verziert mit schwarzem Cord.
    Die Frau, der ich vor Wochen am Reservoir See im Central Park begegnet war, hatte
diesen
Mantel getragen.
    Das nasse, dunkle Haar, die Art, wie sie ins Laternenlicht und wieder heraus geschlendert war, der Mantel, der wie eine Leuchtfackel geglüht hatte, um mich zu warnen –
aber wovor
? Hatte sie bloß mit mir gespielt? Wie die Frau mir so schnell in die Subway gefolgt war, widersetzte sich jeder Logik. Der Vorfall war so seltsam, dass ich in der Nacht nicht schlafen konnte. Die Merkwürdigkeit des Ganzen hatte mich infiziert. Ich war ein paar Mal aus dem Bett geklettert, um die Vorhänge zur Seite zu ziehen. Halb hatte ich sie dort erwartet, ihre schlanke Gestalt wie eine rote Schnittwunde im Gehsteig, den Blick mit harten schwarzen Augen auf mich gerichtet. Ich hatte sogar an meinem Verstand gezweifelt und mich gefragt, ob es nun soweit war: ob die mittelmäßigen letzten Jahre schließlich zum Zusammenprall mit der Realität geführt hatten und ich jetzt, da die Schleusen geöffnet waren, einer Armee der Finsternis gegenüberstehen würde. Die Ungeheuer würden einfach aus meinem Kopf hervorkriechen.
    Doch im Gehsteig war kein roter Riss. Die Straße und die Nacht blieben makellos und ruhig.
    Ich hatte die ganze Geschichte schon fast vergessen –
bis jetzt
.
    Das war Ashley Cordova gewesen.
    Die Erkenntnis war erschreckend. Kurz darauf folgte das paranoide Gefühl, dass etwas nicht stimmte, einschließlich dieses unbeholfenen
Garderobenmädchens
. Sie musste Teil eines abgekarteten Spiels sein. Doch das Mädchen lächelte mich nur unschuldig an. Hopper allerdings musste etwas in meinem Gesicht gesehen haben – komplette Erschütterung –, denn er blinzelte mich argwöhnisch an.
    »Was ist das?«, fragte er und nickte in Richtung Mantel.
    »Ashleys Mantel«, sagte sie. »Den trug sie, als sie ins Restaurant kam.« Sie nahm ihr Besteck und schnitt in ihr French Toast. »Sie hat ihn bei mir abgegeben. Als später die Polizei kam und nach ihr fragte, habe ich ihnen einen schwarzen Mantel aus der Fundsachenkiste gegeben und gesagt,
das
sei Ashleys. Wenn sie gemerkt hätten, dass ich gelogen habe, hätte ich gesagt, dass ich die Marken vertauscht habe. Aber sie kamen nicht zurück.«
    Hopper zog den Mantel zu sich, breitete ihn aus und hielt ihn an den Schultern vor sich in die Luft. Trotz der kunstvollen Nähereien wirkte der Mantel abgetragen. Er schien sogar nach dieser Stadt zu riechen, dem dreckigen Wind, dem Schweiß. Innen war er mit schwarzer Seide gefüttert, und mir fiel ein lila Etikett auf, das hinten am Kragen eingenäht war. »Larkin«, stand da in schwarzer Schrift. Rita Larkin war

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