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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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zwei Journalisten in der Geschichte dieses Landes je geleistet haben.«
    »Dann bist du Woodward und ich bin Bernstein.«
    »Das war nicht – okay, ja, sie
waren
ein Team. Aber beide hatten auch was Wichtiges beizutragen.«
    »Ich habe auch was beizutragen.«
    »Was denn? Deine tiefgehenden Kenntnisse von Ashley Cordova?«
    Sie blieb stehen. »
Ich komme mit
«, verkündete sie hinter mir. »Sonst rufe ich die Klinik an und sage ihnen, dass du ein Hochstapler bist und einen falschen Namen benutzt.«
    Jetzt blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich drehte mich zu ihr um und musterte sie. Da war sie wieder, diese teflonbeschichtete Persönlichkeit, mit der ich es eins-gegen-eins im Four Seasons aufnehmen musste. So waren die Frauen – in ständiger Verwandlung. Erst waren sie hilflos und brauchten Unterschlupf und Muffins, und im nächsten Moment machten sie dich gnadenlos gefügig, als wärst du bloß ein biegsames Stück Blech.
    »Das ist Erpressung.«
    Sie nickte. Ihr Blick war grimmig.
    Ich ging die letzten paar Meter zu meinem Auto, einem verbeulten 1992 er BMW , den ich am Straßenrand geparkt hatte.
    »Gut«, brummte ich über die Schulter. »Aber du bleibst im Auto.«
    Nora quiekte vor Aufregung und eilte zur Beifahrertür.
    »Du tust jederzeit genau, was ich sage.« Ich schloss den Kofferraum auf und schob die
Whole-Foods
-Tüte hinein. »Du bist eine schweigende Arbeiterin ohne eigene Persönlichkeit. Du führst einfach nur meine Befehle aus, wie eine Maschine.«
    »Oh,
klar

    Ich stieg ein, schnallte mich an und startete den Motor.
    »Ich will keine Kommentare hören. Kein Gejammer. Und ich will auf keinen Fall quatschen.«
    »Okay, aber wir können noch nicht los.« Sie beugte sich vor und schaltete das Radio ein.
    »Wieso nicht?«
    »Hopper kommt auch mit.«
    »Nein. Tut er nicht. Das ist kein Klassenausflug.«
    »Aber er wollte sich mit uns treffen. Du hasst die Menschen wirklich, oder?«
    Ich ignorierte diese Bemerkung und schob mich langsam auf die Perry Street hinaus, doch hinter uns kam ein Taxi laut hupend angerast. Ich stieg auf die Bremse und war gezwungen, mich kleinlaut in die Parklücke zurückzuziehen, während eine ganze Kolonne von Autos vorbeifuhr. Sie hielten vor der Ampel und kesselten uns ein.
    »Du erinnerst mich an einen Mann in Terra Hermosa.«
    »Was zur Hölle ist Terra Hermosa?«
    »Eine Seniorensiedlung. Er hieß Hank Weed. Zu den Essenszeiten setzte er sich immer an den besten Tisch am Fenster und stellte seinen Rollator so vor den freien Stuhl, dass niemand anders sich setzen und den Blick genießen konnte. So ist er gestorben.«
    Ich antwortete nicht. Mich hatte die plötzliche Erkenntnis verstummen lassen, dass ich absolut keine Ahnung hatte, ob irgendwas von dem, was dieses Mädchen sagte, der Wahrheit entsprach. Vielleicht konnte sie wirklich gut improvisieren. Ich wusste nicht, ob sie tatsächlich neunzehn war oder ob sie Nora Halliday hieß. Vielleicht war sie wie einer dieser Pullover, aus denen nur ein harmloser kleiner Faden heraushängt: Einmal ziehen und alles löst sich auf.
    »Kannst du fahren?«, fragte ich.
    »Klar.«
    »Zeig mir deinen Führerschein.«
    »Wieso?«
    »Ich muss sichergehen, dass du nicht als vermisst gemeldet wurdest. Und dass die Polizei dich nicht als eine Art Kinder-Verbrecherin sucht.«
    Sie beugte sich schmunzelnd vor und wühlte in ihrer unförmigen Tasche herum. Sie holte ein grünes LeSportsac-Portemonnaie aus Nylon hervor, das so fleckig und versifft war, als sei es ein paar Jahre im Nil geschwommen. Sie blätterte einige Schnappschüsse in Plastikhüllen durch – dabei drehte sie das Portemonnaie absichtlich so, dass ich die Bilder nicht sehen konnte –, holte den Führerschein heraus und gab ihn mir.
    Auf dem Bild sah sie aus wie vierzehn.
    Nora Edge Halliday. 4406 Brave Lane. St. Cloud, FL . Augenfarbe: blau. Haarfarbe: blond. Geboren am 28 . Juni 1992 .
    Sie war wirklich neunzehn.
    Ich gab ihn ihr wortlos zurück. Ihr zweiter Vorname,
Edge
, und der Straßenname
Brave Lane
reichten aus, um mich verstummen zu lassen – ganz zu schweigen von ihrem Geburtsjahr, was mehr oder weniger
gestern
war.
    Die Ampel wurde grün. Ich schaltete auf D und fuhr vorsichtig los.
    »Wenn du auf Hopper warten willst, tu dir keinen Zwang an. Auf mich wartet Arbeit.«
    »
Aber er ist schon da
«, kreischte sie aufgeregt.
    Tatsächlich schlurfte Hopper in seinem grauen Mantel den Gehsteig entlang. Bevor ich sie davon abhalten konnte, lehnte sich

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