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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Mitbewohner?«
    Sie las weiter in meinem Buch. »Zwei.«
    »Und was treiben die so?«
    »Was meinst du damit?«
    »Sind das Zuhälter, Drogenabhängige oder arbeiten sie in der Pornoindustrie?«
    »Nein,
nein
. Also, ich weiß nicht genau, was sie tagsüber machen. Sie scheinen nett zu sein.«
    »Und wie heißen sie?«
    Sie zögerte. »Louisa und Gustav.«
    Wenn ich je ausgedachte Mitbewohnernamen gehört hatte, dann diese. Ich lebte jetzt seit mehr als zwei Jahrzehnten in New York und war noch nie jemandem begegnet, der so hieß.
    Ich sah auf die Uhr. Ich hatte keine Zeit mehr zum Babysitten.
    »Ich habe einen Arzttermin«, sagte ich. »Du musst leider gehen. Aber wir können morgen sprechen.«
    Nora sah mich mit großen Augen an, als ich ihren Teller und Becher nahm und in der Küche in die Spülmaschine räumte.
    »Danke für den Kaffee«, rief sie mir zu.
    »Keine Ursache.«
    Es folgte ein Moment sehr verdächtiger Stille.
    Ich wollte gerade nach ihr sehen, doch dann hörte ich, wie sie den Reißverschluss ihrer Tasche öffnete und wieder schloss. Sie packte ihre Sachen – Gott sei Dank. Aber ich wusste, dass dies nur einen Aufschub bedeutete – sie würde am nächsten Tag wieder da sein. Dieses Mädchen war wie einer dieser winzigen Fische, die kilometerweit unermüdlich unter dem Kinn eines Weißen Hais schwammen. Ich würde einen alten Kontakt aktivieren müssen, jemanden bei der Gewerkschaft oder bei einer Bank, und ihn überreden, ihr eine Anstellung mit Zwölf-Stunden-Tagen in irgendeiner Capital One Bank in Jersey City zu verschaffen.
    »Was ist in
Shandaken
?«, rief sie plötzlich.
    »Was?« Ich trat aus der Küche heraus.
    »Hier liegt eine Wegbeschreibung zu einem Ort namens Shandaken, New York.«
    Sie stand im Flur und inspizierte die Mappe mit der Wegbeschreibung nach Briarwood und meinem E-Mailverkehr mit der Leiterin der Aufnahme. Ich hatte die Mappe neben die
Whole-Foods
-Tüte mit Ashleys Mantel auf den Tisch gelegt.
    »Du bekommst eine Führung durch die Gesundheitseinrichtung?«, fragte sie und blickte mich erstaunt an. »Was für eine
Gesundheitseinrichtung

    Ich nahm ihr die Mappe ab und sah auf die Uhr – ich hätte schon vor zehn Minuten auf dem New Jersey Turnpike sein müssen. Ich ging zum Schrank, griff meine schwarze Jacke und zog sie an.
    »Eine psychiatrische Klinik.« Ich ging zurück in den Flur und machte das Licht aus.
    »Warum willst du dich durch eine psychiatrische Klinik führen lassen?«
    »Weil ich mich vielleicht
einweisen
lasse. Wir sprechen uns morgen.« Ich packte die Wegbeschreibung und Noras knochigen Arm, geleitete sie zur Wohnungstür und schubste sie sanft hinaus. Ich ging hinter ihr her und schloss die Tür ab.
    »Du hast in der E-Mail gelogen«, sagte sie. »Du hast gesagt, du heißt Leon Dean.«
    »Ein Tippfehler.«
    »Du willst dahin, um nach Ashley zu forschen.«
    Ich ging den Hausflur entlang, Nora eilte mir nach. »Nein.«
    »Aber du hast ihren Mantel dabei. Ich komme besser mit.«
    »Nein.«
    »Aber ich könnte deine Tochter sein, die du vielleicht einweisen willst. Ich könnte einen schlechtgelaunten, depressiven Teenager spielen. Ich kann ziemlich gut improvisieren.«
    »Ich fahre dahin, um Informationen zu sammeln, nicht um Scharade zu spielen.«
    Ich trat aus dem Haus ins helle Morgenlicht und hielt ihr die Tür auf – sie hatte einen schnellen, schiefen Gang, auch wenn ich nicht sagen konnte, ob es Skoliose war oder an der bleischweren Tasche lag.
    »Die sind da gesichert wie das Pentagon«, sagte ich, während ich die Treppe herunterjoggte. »Im Laufe der Jahre habe ich eine Interviewmethode entwickelt, durch die mir die Leute vertrauen. Das liegt daran, dass ich alleine arbeite. Deep Throat hätte nie mit Woodward geredet, wenn der eine Teenagerin aus Florida im Schlepptau gehabt hätte.«
    »Wer ist Deep Throat?«
    Ich blieb stehen und starrte sie an. Sie wusste tatsächlich nicht, wovon ich sprach.
    Ich ging weiter und überquerte die Straße. »Den
Film
hast du aber gesehen, ›Die Unbestechlichen‹. Robert Redford, Dustin Hoffman? Schon mal gehört? Oder kennst du keine Schauspieler, die älter sind als Justin Timberlake?«
    »Die kenn’ ich.«
    »Gut, die beiden haben Woodward und Bernstein gespielt. Legendäre Journalisten, die die Watergate Affäre aufgedeckt haben. Sie haben einen Präsidenten der Vereinigten Staaten gezwungen, sein Fehlverhalten zu gestehen und zurückzutreten. Das war eine der größten patriotischen Taten, die

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