Die amerikanische Nacht
herausholend, über den Parkplatz.
Es war schon nach vier Uhr. Die Sonne hatte die Welt nicht mehr so fest im Griff, die Schatten wirkten konturlos und das Licht angetaut und weich.
Auf der anderen Straßenseite stand ein weißes Farmhaus inmitten eines verwilderten Rasens. Das Gras war mit Müll übersät. Auf einer durchhängenden Telefonleitung saßen zwei schwarze Vögel, die zu klein und fett waren, um Krähen zu sein. In meinem Rücken fiel die Tür des Qwik Mart klappernd ins Schloss. Ich drehte mich um und sah einen alten Mann in einem grünen Flanellhemd und Arbeitsstiefeln, der zu einem Pick-up ging. Auf der offenen Ladefläche saß ein brauner Köter. Der Mann setzte sich hinters Steuer und fuhr mit lauter Fehlzündung los. Dabei scherte er so weit aus, dass er Hopper nur ganz knapp verfehlte.
Hopper reagierte nicht. Er starrte in einer Art melancholischen Trance auf die Straßenmitte, die vorbeijagenden Autos bemerkte er nicht.
Vielleicht ging es genau darum – er stellte sich vor, vor eines der Autos zu laufen.
Er sah aus, als stünde er am Ufer eines Flusses und sei kurz davor hineinzuspringen. Das war ein pathetischer Gedanke – vermutlich ein Rest der Paranoia, die das Erscheinen der Pflegerin bei mir ausgelöst hatte. Ich konnte ihr ängstliches, sommersprossiges Gesicht noch immer vor mir sehen, wie sie mich mit rissigen Lippen anstarrte, wie die Scheibe von ihrem Atem beschlug und ihren Mund auslöschte.
Hopper zog an seiner Zigarette, strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah in den Himmel hinauf. Er blinzelte die Vögel auf der Telefonleitung an. Aus dem Nichts waren noch weitere hinzugekommen. Jetzt waren es sieben – sieben winzige schwarze Noten auf einem ansonsten leeren Notenblatt, die Notenlinien und Takte bogen sich durch, sie hatten sich aufgegeben, wie sie sich da zwischen den Masten streckten und sich die Straße entlangwanden.
Es klapperte noch einmal, und da kam Nora, vollgepackt mit Riesenbechern, Jellybeans, Bugles-Chips und einem Telefonbuch. Sie breitete alles auf der Motorhaube aus.
»Für Hopper hab ich Kaffee«, flüsterte sie und hielt eine gewaltige Tasse hoch. Sie sah besorgt über den Parkplatz zu ihm herüber. »Er sieht aus, als bräuchte er Koffein.«
»Er sieht aus, als bräuchte er ein bisschen menschliche Zuneigung.«
Sie stellte den Becher ab und blätterte im Telefonbuch.
»Hier ist es«, flüsterte sie erstaunt.
Ich ging zu ihr und starrte die Seite an.
19
»Die nächste Einfahrt ist es«, sagte Nora, die sich mein Telefon vors Gesicht hielt.
Die Fahrt nach Livingston Manor zog sich anderthalb Stunden auf verschlungenen Landstraßen dahin. Es wurde bereits dunkel. Der Himmel verblasste zu einer Art Blutergussblau. Auf der Benton Hollow Road gab es keine Straßenschilder, keine Hausnummern, keine Straßenbeleuchtung, nicht einmal Stromleitungen – nur die altersschwachen Scheinwerfer meines Autos, die die zunehmende Dunkelheit weniger zurückdrängten, als dass sie sie nervös durchstocherten. Links von uns war eine massive Wand aus Gebüsch, dornig und undurchdringlich. Rechts von uns erstreckte sich schwarz das freie Feld, zerwühlte Weiden und verblichene Farmhäuser, ein einzelnes Terrassenlicht stach aus der Nacht heraus.
»Hier ist es«, flüsterte Nora aufgeregt und zeigte auf eine Lücke im Gebüsch.
Daneben stand ein Briefkasten aus Metall, aber ohne Hausnummer oder Namen.
Ich bog ab.
Die Kieseinfahrt war eng und führte durch dichtes Laubwerk steil bergauf, der Durchgang war kaum breit genug für einen Menschen, geschweige denn ein Auto. Der Weg wurde noch steiler, deshalb musste ich Vollgas geben. Das Auto schlitterte unkontrolliert, wie die Challenger beim Versuch, die Schallmauer zu durchbrechen. Dürre Zweige schlugen gegen die Frontscheibe.
Nach ungefähr einer Minute rollten wir langsam über den Scheitelpunkt des Hügels.
Ich trat sofort auf die Bremse.
Vor uns stand hinter einer verwahrlosten Rasenfläche und zwischen hohen Bäumen eingekeilt ein winziges Holzhaus. Es war so heruntergekommen, dass es uns die Sprache verschlug.
Die weiße Außenfarbe war rissig und blätterte ab. Einige Dachschindeln fehlten und legten ein schwarzes Loch frei. Im Dachgeschoss waren die Fensterscheiben herausgeschlagen und kohlrabenschwarz. Im Hof stand zwischen toten Blättern und einem großen, umgestürzten Baum das Spielzeug eines Kindes herum – Bollerwagen, Dreirad, und weiter weg, am Rande des Hofes, wo es dunkel war, ein
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