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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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schroff.
    »Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Ihr verlasst jetzt unser Grundstück, oder ich ruf die Bullen.«
    Sie wollte gerade die Tür zuknallen, als sich neben ihr ein Mann materialisierte.
    »Was ist los?«
    Seine Stimme war leise und freundlich, ein überraschender Kontrast zu ihr, die seine Frau zu sein schien. Er war erheblich kleiner als sie und sah jünger aus – Anfang dreißig. Er war untersetzt und trug ein ausgewaschenes blaues Button-Down-Flanellhemd, das er sorgfältig in die Jeans gesteckt hatte. Die Ärmel waren aufgekrempelt. Er hatte braunes Haar und einen Bürstenschnitt, sein breites, rötliches Gesicht war weder unattraktiv noch gutaussehend, einfach nur unauffällig. So ein Gesicht hatten Millionen anderer Männer.
    »Sind Sie Morgan Devold?«, fragte Hopper.
    »Worum geht’s denn?«
    »Briarwood.«
    »Ihr habt ja Nerven, euch hier blicken zu lassen«, sagte die Frau.
    »Stace. Ist schon in Ordnung.«
    »
Keinerlei Kontakt.
Du weißt, was der Anwalt gesagt hat …«
    »Es ist
gut

    »Nichts ist gut.«
    »Lass mich das regeln.« Er hob die Stimme, und sofort fing irgendwo in einem der hinteren Räume ein Baby an zu schreien.
    Die Frau lief ins Haus, jedoch nicht, ohne ihn vorher böse anzusehen.
    »Sorg dafür, dass sie verschwinden.«
    Morgan – denn der Mann schien Morgan zu sein – trat mit einem entschuldigenden Lächeln einen Schritt vor. Das Baby weinte, aber er sagte nichts. Wie er so dastand, gefangen hinter der Fliegengittertür, erinnerte er mich an meinen letzten Besuch im Bronx Zoo; Sam hatte mir äußerst besorgt einen trübsinnigen Schimpansen hinter Glas gezeigt – diese tiefe Traurigkeit, diese Resignation.
    »Sie kommen aus Briarwood?«, fragte er unsicher.
    »Nicht direkt«, sagte Hopper.
    »Worum geht’s dann wirklich?«
    Hopper starrte ihn eine Sekunde lang an, bevor er antwortete.
»Ashley.«
    Die vielsagende Art, in der er ihren Namen sagte, war erstaunlich. Sie war sogar
genial
 – sie ließ durchblicken, dass Ashley eine unglaubliche Erfahrung war, die sie beide teilten und die so unvergesslich war, dass die Nennung eines Nachnamens überflüssig war. Sie war eine herrliche versteckte Insel, ein verborgenes Haus an einer Felsenklippe, das nur ein paar Privilegierte kannten. Wenn das eine bewusste Falle von Hopper war, dann funktionierte sie, denn dem Gesicht des Mannes war sofort anzusehen, dass er den Namen kannte.
    Er blickte verstohlen über seine Schulter – wo seine Frau gerade verschwunden war, um sich um das Baby zu kümmern –, dann wandte er sich wieder uns zu. Mit einem schuldbewussten Lächeln streckte er den Zeigefinger aus und drückte die Fliegengittertür auf, darauf bedacht, keinen Lärm zu machen.
    »Hier rüber«, flüsterte er leise.

20
    Wir folgten Morgan Devold zum Rand des Hofes, wo die Bäume dicht beieinanderstanden, nicht weit von dem Planschbecken, das mit dunklem Wasser und Blättern gefüllt war. Das Baby schrie immer noch, doch etwas weiter vom Haus entfernt wirkte der Wind wie eine Art Balsam gegen das Geräusch, er linderte es und wickelte es ein in das kalte Schauern der Nacht.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Morgan ziemlich resigniert. Die Daumen in die Hosentaschen eingehakt.
    »Dank einer Pflegerin aus Briarwood«, sagte Hopper.
    »Welche?«
    »Sie hat uns ihren Namen nicht genannt«, sagte ich. »Aber sie war jung. Rotes Haar und Sommersprossen.«
    Er nickte. »Genevieve Wilson.«
    »Sind Sie befreundet?«
    »Nicht wirklich. Aber ich habe gehört, dass sie bei der Verwaltung Stunk gemacht hat, als sie mich gefeuert haben.«
    »Sie haben in Briarwood gearbeitet?«
    Er nickte wieder.
    »Als was?«
    »Als Wachmann.«
    »Und wie lange?«
    »So sieben Jahre. Davor war ich Wachmann in Woodbourne. Ich stand in Briarwood kurz vor der Beförderung. Ich dachte, ich werde Assistent vom Chef.« Er lächelte traurig und schaute auf, an mir vorbei auf sein eigenes Haus. Er wirkte verwirrt, als erkenne er es nicht oder als könne er sich nicht erinnern, wieso er dort lebte.
    »Wer seid ihr?«, fragte er.
    »Privatdetektive«, sagte Nora sichtlich aufgeregt.
    Irgendwo drehte sich Sam Spade gerade in seinem Grab um.
Ich war mir sicher, dass Morgan uns wegen dieser offensichtlichen Lüge zur Rede stellen würde, aber er nickte bloß.
    »Wer hat euch beauftragt?«, fragte er ernst. »Ihre Familie?«
    Er meinte Ashleys.
    »Wir arbeiten im eigenen Auftrag«, sagte ich.
    »Alles, was Sie

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