Die amerikanische Nacht
Tür. Ich wollte ihm gerade für seine Mühen danken, als eine plötzliche Bewegung im Fenster hinter ihm meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Eine Frau hetzte zwischen den Bäumen auf einem Pfad, der um einen verlassenen Bauplatz verlief. Ihr rotes Haar blitzte in der Sonne auf. Sie trug eine Pflegerinnenuniform, Hawaiihemd, weiße Strickjacke, rosa Hose. Sie schien in großer Eile zu sein und kam direkt auf unser Gebäude zu.
Cunningham blickte über die Schulter aus dem Fenster, wandte sich dann aber wieder lässig mir zu.
»Habe ich mich klar ausgedrückt, Mr McGrath?«
»Glasklar.«
Cunningham nickte den Wachmännern zu und sie eskortierten uns hinaus.
Wir gingen im Gänsemarsch um den Bauplatz. Dafür, dass
Lisa
sich so sehr wie ein böses Mädchen aufgeführt hatte, sah sie jetzt ziemlich lammfromm aus. Während wir zwischen den beiden Wachen gingen, warf sie mir einen wahnsinnigen
Was-machen-wir-denn-jetzt?
-Blick nach dem anderen zu – alles deutete darauf hin, dass sie diese Konfrontation mit der Amtsgewalt genoss. Falls man diese Wachmänner als Amtsgewalt bezeichnen konnte. Sie sahen eher aus wie Sitzsäcke.
Vor uns auf dem Pfad bemerkte ich wieder diese Pflegerin – die Rothaarige, die ich durch das Fenster gesehen hatte. Sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht und kam schnell auf uns zu. Dabei starrte sie eindringlich zu Boden. Doch als wir nur noch wenige Meter von ihr entfernt waren, riss sie den Kopf hoch und sah mich mit aufgeregtem Blick direkt an.
Ich blieb überrascht stehen.
Sie beschleunigte nur noch ihr Tempo und bog auf einen anderen Weg ab, der hinter das Wohnheim führte.
»
Mr McGrath.
Kommen Sie.«
Als wir den Parkplatz erreichten, schien sich der Verstoß gegen die Sicherheitsvorkehrungen bereits herumgesprochen zu haben, denn wir hatten eine Handvoll Zuschauer – Pflegerinnen, Mitarbeiter der Verwaltung, Psychiater. Sie standen auf der Vortreppe des Dycon Hauses und sahen sich unsere Prozession an.
»Eine Abschiedsparty«, sagte ich. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»Bitte gehen Sie jetzt zu Ihrem Fahrzeug«, wies uns der Wachmann an.
Ich schloss das Auto auf und wir stiegen ein. Hopper lag immer noch bewusstlos auf der Rückbank. Er sah aus, als hätte er sich überhaupt nicht bewegt.
»Guck doch mal, ob du seinen Puls noch spürst«, murmelte ich, während ich den Motor startete.
Ich rollte aus der Parklücke und steuerte auf den Ausgang zu. Noch immer liefen ein paar Menschen um das Dycon Haus herum und beobachteten uns, doch von der rothaarigen Pflegerin war keine Spur.
Wollte sie, dass ich ihr folge?
Sie hatte doch gesehen, dass das mit den Wachmännern unmöglich war.
»Er hat noch Puls«, zwitscherte Nora fröhlich und drehte sich wieder nach vorne. »Das war knapp, was?«
»
Knapp
? Nein. Ich würde sagen, das war ein Volltreffer.«
Ich bog rechts ab und beschleunigte auf die Hauptstraße, die uns zur Hölle nochmal von hier wegbringen würde, schwindelerregende zwei Minuten Fahrt durch den Wald.
»Bist du irgendwie sauer?«, fragte Nora.
»Ja. Ich
bin
sauer.«
»Wieso?«
»Deine kleine Houdini-Nummer vorhin? Du hast sie nicht einfach nur auf uns aufmerksam gemacht. Du hast einen roten Kreis um uns gemalt, mit einem Pfeil,
Sie sind hier
. Bring doch nächstes Mal gleich eine Mariachi-Band mit.«
Sie schnaubte und fummelte am Radio herum.
»In diesem Augenblick telefoniert Cunningham mit Ashleys Familie – wahrscheinlich mit Cordova
persönlich
–, und erzählt ihm, dass ein Reporter namens Scott McGrath in Begleitung eines Weißbrots aus Florida in der Krankengeschichte seiner Tochter herumgeschnüffelt hat. Jede Hoffnung, diese Recherche im Stillen durchführen zu können, ist jetzt dahin, und das habe ich dir zu verdanken,
Bernstein
. Was mich zum Thema Schauspielerei bringt. Ich weiß nicht, ob dir das schon mal jemand gesagt hat, aber du solltest dein Lebensziel noch mal überdenken.«
Ich sah in den Rückspiegel. Ein blauer Lincoln war hinter uns aufgetaucht. Vorne waren deutlich die kastigen Gestalten der Wachmänner zu erkennen.
»Jetzt haben wir Hokus und Pokus an den Hacken«, brummte ich.
Nora drehte sich aufgeregt um, um aus dem Rückfenster zu gucken. Dieses Mädchen war in etwa so unauffällig wie ein Schwertransporter.
Wir jagten einen Hügel hinab und um ein Wäldchen herum. Ich zählte ungefähr fünfzehn Sekunden zwischen dem Zeitpunkt, an dem wir um eine Kurve kamen, und dem Auftauchen der blauen Limousine. Ich
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