Die amerikanische Nacht
Hände.
»Kann ich gehen?«
»Sie gehen nirgendwohin.«
Er sah mich weiter böse an, bis es an der Tür klopfte.
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf zwei große, uniformierte Wachmänner frei.
»Scott B. McGrath«, sagte einer von ihnen, »bitte kommen Sie mit uns.«
Dass er
B.
gesagt hatte – was für meinen zweiten Vornamen stand,
Bartley
– versprach nichts Gutes.
17
Sie eskortierten mich quer über das Gelände zur Sicherheitszentrale, einem kastenartigen Betonbunker, der abseits der anderen Gebäude am Waldrand stand. Wir betraten eine nüchterne Eingangshalle, in der ein krötengesichtiger Wachmann hinter Glas saß. Ich wurde einen Flur entlanggeführt, vorbei an Räumen, in denen es vor lauter Monitoren nur so summte. Jeder einzelne zeigte ruckelnde Schwarzweißaufnahmen von Korridoren und Unterrichtsräumen.
»Kommt jetzt das Waterboarding?«, fragte ich.
Sie ignorierten mich und hielten neben einer geöffneten Tür am Ende des Flurs an.
Nora war da, sie hing krumm auf einem Metallklappstuhl in der Mitte eines mit gelben Teppichen und Sperrholzvertäfelungen ausgestatteten Raumes. Zum Glück schien sie aus der Rolle gefallen zu sein. Sie kaute Fingernägel und starrte mit aufgerissenen Augen zu Elizabeth Poole hoch – deren Gesicht jetzt so rot war, dass sie thermonukleare Energie auszustrahlen schien. Neben ihr saß auf der Schreibtischkante ein großer Mann mit graumeliertem Haar. Er trug eine frisch gebügelte Khakihose und einen leuchtend blauen Pullover.
»Scott«, sagte er, erhob sich und reicht mir die Hand. »Ich bin Allan Cunningham, Direktor und Eigentümer von Briarwood Hall. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«
Er lächelte. Er war einer dieser Strahlemänner, die nicht einfach adrett, sondern
wie aus dem Ei gepellt
aussahen und eine so makellose Haut hatten wie sonst nur Nonnen und Babys.
»Also, Nora«, sagte er und sah lächelnd auf sie hinab – sie lächelte tatsächlich zurück –, »die heute anscheinend unter dem Pseudonym
Lisa
unterwegs war. Sie hat uns erzählt, dass Sie beide nicht, wie behauptet, potentielle Gäste sind, sondern dass Sie illegal nach Informationen über eine ehemalige Patientin suchen wollten.«
»Das stimmt«, sagte ich. »Ashley Cordova. Sie ist aus Ihrer Betreuung entkommen und zehn Tage später gestorben. Wir wollen herausfinden, ob es aufseiten der Klinik ein Fehlverhalten gab, das unmittelbar zu ihrem Tod geführt hat.«
»Es gab kein Fehlverhalten.«
»Sie geben also zu, dass Ashley Cordova als Patientin hier war.«
»Keineswegs.« Es kostete Cunningham beträchtliche Mühe, sein breites Grinsen beizubehalten. »Aber ich kann Ihnen sagen, dass die Sicherheit der Patienten jederzeit gewährleistet war.«
»Wenn es Ashley
erlaubt
war, mitten in der Nacht mit einem unbekannten Mann zu verschwinden, wieso hat die Klinik dann am nächsten Tag eine Vermisstenanzeige aufgegeben?«
Er sah wütend aus, aber antwortete nicht.
»Sie war Code Silber. Die Abteilung für akute Fälle. Denen ist es nicht erlaubt, das Gelände ohne Betreuer zu verlassen. Also muss in der Klinik jemand nicht aufgepasst haben.
Er holte tief Luft. »Mr McGrath, dies ist kein öffentliches Krankenhaus. Sie machen sich des unerlaubten Betretens strafbar. Ich könnte Sie beide auf direktem Wege ins Gefängnis bringen lassen.«
»Nein, können Sie
nicht
.« Ich öffnete den Reißverschluss meiner Jackentasche und reichte ihm eine gefaltete Broschüre. »Wie Sie sehen können, sind Nora und ich nicht nur wegen Ashley hier, sondern auch, um Infomaterial über unsere Religion zu verteilen. Das ist uns per Gesetz erlaubt, gemäß der Supreme-Court-Entscheidung
Marsh-versus-Alabama
, die besagt, dass nach den Zusatzartikeln zur Verfassung Nummer eins und vierzehn die bundesstaatlichen Statuten zum unerlaubten Betreten
nicht
für denjenigen gelten, der mit der Verteilung religiöser Schriften befasst ist, selbst wenn dies auf Privatgelände stattfindet.«
Cunningham begutachtete meine alte Broschüre der Zeugen Jehovas.
»Hübsch.
Sehr hübsch
«, sagte er. »Ich lasse Sie jetzt vom Gelände bringen. Ich werde bei der Polizei eine Beschwerde einreichen. Sollten Sie oder Ihre Freunde – das gilt auch für die Person, die schlafend in Ihrem Auto liegt – noch einmal versuchen, unser Gelände zu betreten, lasse ich Sie verhaften.«
Er zerknüllte die Broschüre und warf sie geschickt in den Papierkorb neben der
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