Die amerikanische Nacht
südafrikanischen Reporter, dem ich im Hilton in Nairobi über den Weg gelaufen war, als ich dort in den frühen Neunzigern an einer Geschichte über den Elfenbeinhandel arbeitete. Er war auf dem Weg in ein entlegenes Dorf im Südwesten, wo ein Taita-Stamm nahe der Grenze zu Tansania langsam ausstarb und als
walaani – verflucht
– galt, weil kein neugeborenes Kind älter als elf Tage wurde. Wir hatten uns an der Hotelbar getroffen und uns gegenseitig bedauert, dass wir beide vor kurzem Opfer eines Carjackings geworden waren (was den englischen Spitznamen der Stadt bestätigte,
Nairobbery
). Dann erzählte mir der Mann, dass er überlegte, seinen Bus am nächsten Morgen zu verpassen und die Geschichte ganz aufzugeben, wegen der Dinge, die den drei Reportern zugestoßen waren, die vor ihm in das Dorf gefahren waren. Einer war offenbar verrückt geworden und lief sinnloses Zeug brabbelnd durch die Straßen. Ein anderer hatte gekündigt und sich eine Woche später in einem Hotelzimmer in Mombasa aufgehängt. Der dritte hatte sich in Luft aufgelöst, seine Familie verlassen und seine Stelle bei der italienischen Zeitung
Corriere della Sera
aufgegeben.
»Die hat die Seuche«, murmelte der Mann. »
Diese Geschichte.
Manche sind so.«
Ich schmunzelte. Ich nahm an, die Theatralik sei ein Nebeneffekt der Chivas, die wir getrunken hatten. Doch er redete weiter.
»Das ist ein Lindwurm.« Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, seine blutunterlaufenen Augen suchten nach Verständnis. »Ein Bandwurm, der seinen eigenen Schwanz gefressen hat. Es bringt nichts, ihm nachzustellen. Es gibt kein Ende. Er wird sich bloß um dein Herz schlingen und das Blut herauspressen.« Er hielt eine geballte Faust hoch. »
Dit zuig jou droog.
Vor manchen Geschichten sollte man davonrennen, solange man noch Beine hat.«
Ich habe nie herausgefunden, ob er es in das Dorf geschafft hat.
Cordovas Tochter wurde tot aufgefunden.
Der Gedanke zog mich zurück in die Gegenwart, und ich öffnete den alten Karton, nahm einen Stapel Papier und fing an.
Zuerst: eine maschinengeschriebene Liste aller Schauspieler, die mit Cordova gearbeitet hatten. Dann eine Liste der Drehorte seines ersten Films, »Figuren in Licht getaucht«. Pauline Kaels Rezension von »Deformation«, mit dem Titel »Vernichtung der Unschuld«. Eine Standaufnahme von Marlowe Hughes im Bett aus der letzten Einstellung von »Kind der Liebe«. Maschinengeschriebene Transkripte meiner Notizen aus Crowthorpe Falls. Ein Foto, das ich von dem Zaun um Cordovas Anwesen The Peak gemacht hatte. Wolfgang Beckmans Lehrplan für sein Cordova-Seminar, das er vor ein paar Jahren an der Columbia Film School gegeben hatte. Nach nur drei Sitzungen musste er wegen der Proteste der Eltern abbrechen. (»Besondere Themen bei Cordova: Geheimnisvoll Lebendig und Absolut Erschreckend«, hatte er das Seminar schelmisch genannt.) Eine DVD der PBS -Dokumentation zu Cordova aus dem Jahr 2003 , »Wächter des Dunklen«. Und dann das Transkript eines anonymen Telefonanrufs.
John.
Der mysteriöse Anrufer, der sich als mein Ruin erweisen sollte.
Ich zog die drei Seiten aus dem Stapel.
Jedes Mal, wenn ich las, was ich in den Minuten nach dem Auflegen transkribiert hatte, versuchte ich vergeblich den Augenblick in dem Gespräch zu erkennen, an dem ich den Verstand verloren hatte. Was hatte mich bloß veranlasst, zwanzig Jahre Berufserfahrung zu missachten und keine vierundzwanzig Stunden später bei einem Fernsehauftritt alles aufs Spiel zu setzen?
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4
Er stellt irgendwas mit den Kindern an.
Selbst jetzt noch hatte ich die verängstigte Stimme des alten Mannes im Ohr.
An mein Live-Interview bei
Nightline
kann ich mich kaum erinnern, nur, dass hauptsächlich ich geredet habe. Ich war in der Sendung, um über Gefängnisreformen zu sprechen. Sehr zur Freude des
Nightline
-Moderators wechselte ich das Thema und kam auf Cordova zu sprechen. Als wir fertig waren, war mir der Shitstorm, der folgen würde, noch nicht bewusst, und ich verspürte die tiefe Zufriedenheit eines Mannes, der endlich gesagt hat, wie es ist.
Dann kamen die Anrufe: Erst mein Agent, der wissen wollte, was ich geraucht hatte. Dann mein Anwalt, der gerade von den Senderverantwortlichen von ABC kontaktiert worden war.
»Du hast zum Mord an Stanislas Cordova aufgerufen.«
»Was?
Nein …
«
»Sie haben mir gerade das
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