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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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mürrische Blick und die
Bad-boy-
Frisur. Als würde er sich für den Rebell in einem 80 er-Jahre-Film von John Hughes halten.«
    Sie kicherte.
    »Wir werden eine von McGraths erstklassigen Strategien anwenden. Den
Corleone.
Wir halten ihn nah bei uns. Irgendwann wird er mit der Wahrheit rausrücken. Klappt jedes Mal.«
    Sie steckte sich das Haar hinter die Ohren und brachte das Bett zum Wackeln, aber sie sagte nichts.
    »Kannst du mir eine Sache verraten?«, fragte ich.
    Sie drehte sich zu mir um, ihr Gesicht ein milchiger Fleck in der Dunkelheit.
    »Terra Hermosa. Wie kam es, dass du da wohnen durftest? Da gab es doch bestimmt ein Mindestalter.«
    »Ach so. Das war nicht legal. Aber ich konnte Eli nicht alleine lassen. Sie hat mich großgezogen. Der schlimmste Tag meines Lebens war, als sie auf dem Parkplatz von Bonnie Lee’s Fried Chicken stürzte und die Ärzte sagten, dass sie in ein Heim müsse.«
    »Wie alt warst du, als du dort eingezogen bist?«
    »Vierzehn.«
    »Was ist mit deinen Eltern?«
    Sie nestelte an den Bündchen ihres Nachthemds herum. »Meine Mama ist gestorben, als ich drei war. Sie hatte Herzprobleme. Mein Papa war damals schon für zwanzig Jahre eingelocht worden.«
    »Wofür hat man ihn eingelocht?«
    »Postbetrug, Überweisungsbetrug, Identitätsdiebstahl, Kreditkarten. Er war richtig fleißig in illegalen Dingen. Eli sagte immer, wenn mein Papa nur die Hälfte der Energie in den mühsamen Weg zum Reichtum gesteckt hätte, die er in den leichten gesteckt hat, wäre er Milliardär.«
    Ich nickte. Solchen Männern war ich schon begegnet und hatte zu einigen recherchiert.
    »Eine Zeitlang war ich tagsüber da, bin dann gegangen und habe mich nachts wieder reingeschlichen. Als ich geschnappt wurde, sollte ich in eine Pflegefamilie kommen. Aber Eli hat sich mit den anderen Senioren auf ihrem Flur zusammengetan und richtig Stress gemacht. Am Ende hat die Direktorin alle überrascht, sie wollte keinen Seniorenaufstand. Sie sagte, solange ich mich versteckt hielt, wenn die staatlichen Gutachter im Haus waren, könnte ich dort wohnen, bis ich mit der Highschool fertig war. Es war immer ein Zimmer frei, weil immer gerade jemand gestorben war. Als Eli an Krebs starb, bin ich abgehauen, ohne mich zu verabschieden. Ich dachte, wenn nicht dann, würde ich es nie schaffen.«
    Sie hielt inne und räusperte sich. »Sie starb an einem Sonntag im Krankenhaus, und ich bin noch mal in ihr Zimmer, um ihre Sachen zu holen. Es gibt eine Warteliste und ich wusste, dass jemand Neues einziehen würde. Wenn die Familie die persönlichen Sachen nicht abholt, werden sie einfach weggeschmissen. Dann sieht das Zimmer in Sekunden so aus, als wäre man nie da gewesen. Bloß ein altes Bett, ein Stuhl und ein Fenster, das darauf wartet, dass der nächste Bewohner nach draußen starrt. Ich sammelte gerade ihr Zeug zusammen, als mich auf einmal der alte Schmuddel-Bill von gegenüber durch die Zähne anpfiff.«
    »
Der alte Schmuddel-Bill
? Von dem war noch nicht die Rede.«
    »Alle haben ihn Schmuddel-Bill genannt, weil er immer dreckige Fingernägel hatte. Er hat im Zweiten Weltkrieg gekämpft und gab immer damit an, dass er direkt neben Hitlers Bunker stand, als der explodierte. Deshalb tuschelten die anderen, dass er den Schutt des Bunkers immer noch unter den Fingernägeln haben musste und dass sie deshalb so dreckig waren.«
    Sie schniefte. »Er pfiff, weil ich in sein Zimmer kommen sollte. Er pfiff ständig die Leute an. Ich hatte Angst, hineinzugehen. Keiner machte das, weil es dort stank. Aber er wühlte unter seinem Bett und holte einen Rockport-Schuhkarton hervor. Er sagte, er habe Geld für meine Träume gespart. Da waren 600  Dollar drin. Er reichte sie mir und sagte, ›Das ist deine Chance, etwas aus deinem Leben zu machen.
Zisch
ab, Mädchen.‹ Also bin ich
abgezischt
. Ich ging zum Busbahnhof von Kissimmee und stieg in einen Bus nach New York. Die Leute wissen gar nicht, wie leicht man sein Leben ändern kann. Man nimmt einfach den Bus.«
    Sie verstummte. Eine Zeitlang sprach keiner von uns. Wir ließen ihre Geschichte wie ein Floß zwischen uns treiben.
    »Ich hatte Glück«, fuhr sie fort. »Die meisten Menschen haben nur eine Mutter und einen Vater. Ich hatte jede Menge.«
    »Du hattest großes Glück.«
    Das schien ihr zu gefallen. Sie steckte ihre Hände in die langen weißen Ärmel.
    »Im Dunkeln ist es leicht, ehrlich zu sein. Schon mal aufgefallen? Wir sollten wahrscheinlich schlafen.« Das Bett

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