Die amerikanische Nacht
Treffer, ausnahmslos Standfotos aus Cordovas Filmen. Er hatte kleinere Rollen in »In der Nacht sind alle Vögel schwarz« und in »Das Vermächtnis« gespielt, doch die meisten Aufnahmen waren aus der Eröffnungsszene von »Warte hier auf mich«, in der er halbnackt auf die Straße läuft.
Je genauer ich mir die Bilder ansah, desto überzeugter war ich, dass er es gewesen war – dieselbe lange, schmale Nase und das gespaltene Kinn, dieselben blassbraunen Augen. Ich schlug in meinen Unterlagen sein Geburtsdatum nach: Geboren am 12 . März 1977 im St. Peter’s Hospital in Albany, New York. Er war also vierunddreißig.
Auf den Blackboards war nicht viel mehr über Theo zu erfahren. In der Welt Cordovas war der Sohn des Meisters offenbar nicht viel mehr als eine Randnotiz. Einer Quelle zufolge hatte er die letzten elf Jahre unerkannt im ländlichen Indiana gelebt, dort als Landschaftsgärtner gearbeitet und seinen Namen in Johnson geändert.
Nachdem ich mich noch durch ein paar Seiten gescrollt hatte, kam mir eine Idee. Ich stellte einen einfachen Beitrag in der Rubrik REDE MIT FREMDEN ein. Darin bat ich um Hilfe beim Finden eines »mysteriösen Privatclubs auf Long Island«, mit einem »französischen Namen«, der »in einem ehemaligen oder vergessenen Gefängnis« abgehalten wird.
Dann schaltete ich den Computer aus und ging ins Bett.
42
Ich war erschöpft, aber konnte nicht schlafen. Ich hatte das quälende Gefühl, dass er immer noch irgendwo da draußen war und mich beobachtete.
Theo Cordova.
Das Gefühl war so stark, dass ich aufstand, das dunkle Rollo hochriss und aus dem Fenster sah. Doch die Perry Street war immer noch still und voller Schatten. Es bewegte sich nichts, außer den Bäumen, die im leichten Frost zitterten.
Jetzt wurde ich zu so einem paranoiden Spinner, ganz wie bei Dostojewski.
Ich ging wieder ins Bett und zog mir die Decke übers Gesicht, ich wollte mit aller Gewalt schlafen. Ich schob mein Kopfkissen zur kühleren Seite des Betts. Sekunden später war es heiß und feucht. Das Bettlaken war ebenfalls kochend heiß und hatte sich von der Matratze gelöst, so dass es sich um meine Taille schlang wie eine fleischfressende Pflanze, die mich erwürgen wollte. Wenn ich die Augen schloss, sah ich Theos Gesicht vor mir, halb im Dunkel des Taxis versunken, seine trüben Augen und seine verstümmelte Hand gegen das Fenster gedrückt, als wolle er mir etwas mitteilen, mich warnen, eine genauso verstörende und schwer zu fassende Präsenz wie Ashley in der Nacht am Reservoir See.
Irgendwie muss ich gegen drei Uhr nachts eingeschlafen sein, denn ich wurde von einem leisen Klopfen an der Tür geweckt.
Ich öffnete ein Auge. Auf der Uhr stand 03 : 46 .
»Kann ich reinkommen?«, flüsterte Nora.
Ohne eine Antwort abzuwarten – Gott sei Dank hatte ich eine Schlafanzughose an –, schlich sie sich herein. Ich konnte in der Dunkelheit nicht viel erkennen, aber sie schien ein langärmeliges weißes Nachthemd zu tragen, das sie wie ein Gespenst aussehen ließ, das gerade in mein Zimmer geschwebt war und jetzt am Ende meines Bettes wartete und mich taxierte, um abzuschätzen, ob es sich lohne, mich heimzusuchen.
»Ich habe mir überlegt …«, sagte sie, aber sprach nicht weiter.
»Warum überlegst du um vier Uhr morgens?«, fragte ich, stopfte mir die Kissen in den Rücken und lehnte mich gegen das Kopfende des Bettes. »Jetzt bin ich aber gespannt.«
»Es geht um Hopper. Bisher konnte ich nicht genau sagen, was es war, aber …« Sie stellte die Füße auf den Bettrahmen und zog sich das Nachthemd über die Knie. »Woher wusste er, dass er genau in dieses Klaviergeschäft musste? Er hat den
einen
Ort in dieser riesigen Stadt gefunden, an dem sie gewesen war. Das gibt’s doch gar nicht.«
Ich stimmte ihr zu. Dass Hopper im
Klavierhaus
zufällig einen Augenzeugen gefunden hatte, der Ashley gesehen hatte, war ein absoluter Glückstreffer. Und wenn etwas nach einem krassen Zufall aussah, war es in neun von zehn Fällen keiner.
»Und als ich sagte, dass Ashley das Zeug unter ihrem Bett ausgelegt haben könnte, wurde er richtig wütend.«
»Das ist mir auch aufgefallen.«
Sie biss an ihrem Daumennagel. »Glaubst du, er ist irgendwie für das verantwortlich, was ihr zugestoßen ist?«
»Ich bin noch nicht sicher. Aber er verheimlicht uns auf jeden Fall irgendwas.«
»Ich glaube, er mag uns auch nicht besonders.«
»Ein
schrecklicher
Fehler. Und dann noch das Kettenrauchen, dieser
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