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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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älter war als diese Quittung. Es war also unklar, worauf sich
Amerikanische Flagge/Porträt Tattoo
bezog.
    »Wir gehen da morgen hin«, sagte ich. »Mal sehen, ob jemand ihr Foto erkennt.«
    »Wir müssen auch noch jemanden finden, der uns erklären kann, was sie da für Kreise unter ihrem Bett aufgeschüttet hat«, sagte Nora und biss in ihren Avocado-Toast.
    »Wir wissen überhaupt nicht, ob die von ihr stammen«, warf Hopper ein. »Das kann doch irgendein Spinner gemacht haben.«
    »Sehe ich auch so«, sagte ich. »Die Vermieterin, die uns belauscht hat – kann gut sein, dass sie in Bezug auf den Schlüssel gelogen hat. Dann sind da noch die Männer, die Iona vor Ashleys Tür gesehen hat. Ich frage mich, ob sie sich vor jemandem versteckt hat, vielleicht vor ihrer Familie. Warum sollte sie die Wohnung sonst unter falschem Namen anmieten und das Schloss wechseln?«
    »Es ist fast, als gäbe es zwei Ashleys«, sagte Nora nachdenklich.
    »Das soll heißen?«
    Sie schob ihre Gabel durch den Berg von Couscous auf ihrem Teller. »Es gibt die Pianistin. Die furchtlose und wilde Frau. Das Mädchen, das Hopper im Six-Silver-Lakes-Camp kennengelernt hat. Und dann gibt es diese andere, über die alle reden. Diese tendenziell übernatürliche
Kreatur.
«
    »Tendenziell übernatürlich«, wiederholte ich.
    Sie nickte mit ernstem Gesicht. »Dann ist da noch das, was Guadeloupe im Waldorf Towers gesagt hat. Dass sie
markiert
war.« Sie sah Hopper an. »Auf dem Obduktionsfoto war in ihrem linken Auge ein schwarzer Fleck zu sehen, genau wie sie gesagt hat. Denkt daran, wie sie Morgan Devold manipuliert hat, ohne ein Wort zu sagen. Sie hat ihn hypnotisiert. Und Peter vom
Klavierhaus
? Der sagt, sie bewegte sich wie ein Tier.«
    »Sie wurde gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen«, sagte Hopper, der sich auf seinem Stuhl fläzte. »Wer weiß, welche Medikamente sie ihr gegeben haben? Ich habe schon Leute auf diesem Zeug gesehen, die nur noch runter davon wollten. Die wissen die Hälfte der Zeit nicht, was sie tun.«
    »Mir ist noch was aufgefallen«, fuhr Nora mit gedämpfter Stimme fort. »Ashley hatte ein eigenartiges Interesse an Kindern.«
    Ich war beeindruckt. Mir war dasselbe aufgefallen.
    »Ashley hat Morgan Devolds Tochter eine Gutenachtgeschichte vorgelesen«, sprach sie weiter. »Und sie hat auf den Neffen ihrer Vermieterin aufgepasst. Wenn sie in die Stadt gekommen ist, um jemanden im Waldorf zu treffen – und in diesen Club zu gehen –, warum sollte sie sich die Zeit für so was nehmen?«
    »Vielleicht mochte sie Kinder«, sagte Hopper.
    »Das waren aber ziemlich viele Kontakte zu Kindern in einem Zeitraum von nur wenigen Tagen. Erinnert ihr euch an die Puppe, die Morgan Devold aus dem Pool gefischt hat? Er hat gesagt, dass sie seit ein paar Wochen verschwunden war.«
    »Ja und?«, sagte Hopper.
    »Das wäre ungefähr die Zeit, als Ashley bei ihm war.«
    »Du glaubst, dass
Ashley
die Puppe in dem
Pool
versteckt hat?«
    Nora zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Warum sollte sie unter ihrem Bett Kreise aus Dreck aufschütten? Oder diese Wurzeln über die Tür hängen?«
    »Wir haben doch bereits
geklärt
, dass sie das wahrscheinlich nicht getan hat.« Er sagte das mit einer solchen Wut, dass zwei wie Models aussehende Frauen am Nachbartisch ihr Gespräch unterbrachen und ihn anstarrten. Er beugte sich vor und senkte seine Stimme. »Bestimmt gefällt dir die Vorstellung, dass Ashley so eine Art Blair Witch war, die Eintöpfe aus Welpenschwänzen und Kinderzehen und was weiß ich gekocht hat. Aber das ist ein
Witz
. Ihre Familie ist verantwortlich.
Das
sind doch die Bekloppten, die sie in die Psychiatrie gesteckt haben. Sie wollte weg von ihnen. Wahrscheinlich ist sie gestorben, als sie’s versucht hat.« Diese letzten Worte murmelte er vor sich hin. Er schob sich das Haar aus dem Gesicht und rammte seine Gabel in die gebackenen Eier. Er war zu gereizt, um zu essen.
    Nora warf mir einen Blick zu und fing stumm wieder an zu essen. Ich sagte nichts. Ihre Formulierung –
Ashley hatte ein eigenartiges Interesse an Kindern
 – erinnerte mich an den anonymen Anrufer von vor fünf Jahren.
John.
Er stellt irgendwas mit den Kindern an
, hatte er gesagt. Diese Worte hatten mich nicht mehr losgelassen.
    Was bedeutete das
? Dass die gesamte Familie, zumindest Vater und Tochter, auf Kinder fixiert war?
Wieso
?
    Wenn man eine solche Frage bloß stellte, reagierte der Verstand mit den denkbar

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