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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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fragen Sie gar nicht erst.
    Der Kerl mit den orangefarbenen Haaren, der Zero in den hinteren Teil des Ladens gescheucht hatte, schlurfte zu uns herüber.
    »Kann ich helfen?«
    »Ja«, sagte Nora und legte ein Buch, das sie sich angesehen hatte –
Zeichen, Symbole & Omen
 – zurück ins Regal. »Wir hatten gehofft, dass uns hier jemand helfen könnte, ein paar Kräuter und Wurzeln zu identifizieren, die wir eigenartig angeordnet im Zimmer einer Freundin gefunden haben.«
    Er nickte, überhaupt nicht überrascht, und zeigte mit dem Daumen hinter sich.
    »Fragen Sie die Hexen in Bereitschaft«, sagte er. »Die wissen alles.«
    Mir war es beim Eintreten nicht aufgefallen, doch im hinteren Teil des Ladens befand sich eine Holztheke, hinter der ein junger Hispano saß.
    Nora und ich gingen hinüber zu ihm. Wir mussten an den Frauen vorbei, die immer noch mit den bunten Kerzen beschäftigt waren. Eine der Frauen, mit krausem roten Haar, hielt eine lila Kerze in der Hand, eine orangefarbene
und
eine grüne. »Soll ich den heiligen Elijah und San Miguel auch noch nehmen?«, fragte sie ihre Freundin.
    »Vermassel das hier nicht«, flüsterte Nora, die meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte. »Ich weiß, du glaubst nicht an solche Sachen, aber das heißt nicht, dass du unverschämt sein darfst.«
    »Ich? Wovon redest du?«
    Sie warf mir einen warnenden Blick zu und stellte sich dann hinter einer Frau in Springerstiefeln an, die sich leise mit dem jungen Hispano unterhielt. Er saß auf einem hohen Hocker und schnitzte mit einem großen Jagdmesser emsig an einer hellgrünen Kerze herum.
    Er wirkte nicht wie eine Hexe – aber das war wahrscheinlich eine genauso dumme Einschätzung wie die des Nachbarn, der den
Evening News
erzählte, der alte Jimmy, der im Keller seiner Mutter wohnte und bei Tageslicht nur selten gesehen wurde, habe gar nicht wie ein gemeingefährlicher Irrer gewirkt. Diese männliche Hexe hatte Zottelhaar und trug ein grünes Armee-Arbeitshemd, wie es Fidel Castro und Che Guevara populär gemacht hatte. Es verlieh ihm eine Art sozialistische Tropen-Autorität.
    Die Holztheke vor ihm quoll über vor bunten Kerzen, Beuteln mit Kräutern, mit Öl und dunklen Flüssigkeiten gefüllten Fläschchen, Teppichmessern, Bindfäden und Taschenmesser. An der Seite der Theke war ein Klemmbrett mit einer Schnur befestigt, in dem einige zerfledderte Seiten steckten. Ich nahm es – ENCHANTMENTS SPEZIALSCHNITZEREIEN-MENÜ stand darauf – und blätterte durch die Seiten.
    »Erfolg vor Gericht. Diese Kerze lässt Sie in allen rechtlichen Angelegenheiten gewinnen, egal ob groß oder klein.«
    »Lila Weisheit. Wird eingesetzt, um bekannte und unbekannte Hindernisse zu überwinden – und für prophetische Entscheidungen. Sie hilft, Weisheit in den alten Wissenschaften zu erlangen, wie Astrologie, hermetische Magie, Kabbalismus und anderen Formen der Magik.«
    »Komm zu mir. Diese Kerze beeinflusst Menschen, die voll sexueller Lust sind, und bringt sie zusammen. Dies ist eine ÄUSSERST MÄCHTIGE SEXUELLE Kerze, die nur mit größter Vorsicht eingesetzt werden sollte.«
    Ich hätte schon vor Jahren herkommen sollen.
    Die Frau vor uns trat zur Seite, und wir rückten zur Theke vor.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Typ, ohne aufzublicken. Nora erklärte mit gesenkter Stimme diskret, weshalb wir da waren, und holte die beiden Plastikbeutel aus ihrer Handtasche. Der eine enthielt eine Probe der stinkenden Substanz, der andere die mit weißem Bindfaden zusammengebundenen Wurzeln.
    »Das hier lag in seltsam gestreuten Kreisen unter dem Bett einer befreundeten Person«, sagte sie und hielt die Dreckprobe hoch. »Wir suchen jemanden, der uns sagen kann, was das ist und warum man es dort hingetan hat.«
    Er legte das Messer zur Seite und wischte sich in aller Ruhe die Hände an einem Lappen ab, bevor er die Beutel entgegennahm. Ohne sie zu öffnen, zerrieb er die Erde zwischen den Fingern und sah sie sich unter einer kleinen Schreibtischlampe an, die vor ihm stand. Dann öffnete er den Beutel und roch daran. Der Geruch ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Er verschloss den Beutel, legte ihn auf den Tisch und sprang von seinem Hocker. Er nahm sich eine kleine Trittleiter, die in einer Ecke verstaut war, und stellte sie rechts von uns vor die Regale. Sie erstreckten sich bis zur Decke und waren vollgepackt mit riesigen, mit Kräutern gefüllten Glasgefäßen. Jedes war mit einem ausgeblichenen Etikett versehen.
    Ich trat

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