Die andere Haut: Roman (German Edition)
ihrer Seele sind. Spuren von ihm, von einer Liebe, deren Größe sie nicht kleinreden kann und will, bloß weil sie nicht ihre einzige Liebe ist und eine, der sie nur für Augenblicke Lebendigkeit gönnt. Dennoch: Sie wird sich ab sofort auf das Leben konzentrieren, für das sie sich vor langer Zeit entschieden hat. Ein Leben in Deutschland oder irgendwo in Europa, mit David an ihrer Seite.
Gott, David! Sie hat ihr Handy ausgeschaltet in den Tagen mit Ricardo und auch nicht nach ihren Mails gesehen. Plötzlich ist da der dringende Wunsch, mit ihm zu sprechen, wieder der Mensch zu werden, der nach Hause gehört und nirgendwohin sonst.
Eine Weile noch redet sie mit Pilar, bedankt sich schließlich für die tröstende Stunde und verabschiedet sich.
Siebzehn Anrufe in Abwesenheit. Jedes Mal David. Eine SMS: „Melde dich bitte!“
Lara erreicht ihn nicht.
Dann seine Mail:
„Lara, wo bist du, ich hab es zigmal versucht! Geh an dein
Handy, verdammt! Hast du an der Küste keinen Empfang? Verzeih, dass ich es dir nun per E-Mail sage, aber ich möchte nicht länger warten. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Plötzlich bin ich so durcheinander, ganz ehrlich, vor ein paar Tagen glaubte ich noch, meine Zukunft zu kennen und jetzt ist alles anders. Meine Zukunft mit dir, aber Lara, es tut mir so leid!!! Also: Ich habe die Hochzeit abgesagt. Ja, das ist jetzt der totale Kurzschluss und vielleicht bereue ich morgen alles wie verrückt. Sei nicht zu schockiert, lass uns reden, wenn wir wieder zu Hause sind, ja? Du wirst dich fragen, ob eine andere Frau dahinter steckt, und ja tatsächlich, ich habe jemanden kennengelernt. Aber das ist es im Grunde nicht, ich weiß nicht, ob ich mit ihr zusammen sein will, wahrscheinlich nicht, ich kenne sie ja kaum, erst seit vorgestern. Es hat nur etwas aufgebrochen in mir, das mich nun nicht mehr klar denken lässt. Lara, ich weiß, dass du mit Ricardo nicht nur Kaffee getrunken hast oder nicht nur Kaffee trinken wirst. Ich kenne dich viel zu gut, als dass du mir etwas vormachen könntest. Und ich weiß ja, dass du das gar nicht willst, mich belügen. Vielleicht hat es mir das leichter gemacht, dich bei ihm zu wissen. Klingt das, als gäbe ich dir die Schuld? Es geht jetzt nicht um Vorwürfe und Bestandsaufnahmen. Lass uns eine Pause machen, ja? Nur für den kleinen Rest unserer Reise. Noch mal völlig frei sein, du und ich, wie wir es doch immer wollten. Ist das blöd, dass ich das schreibe? Bin ich ein Arsch, der die Verantwortung abgeben will? Wahrscheinlich. Aber irgendwie weiß ich, dass du mich verstehst. Du warst immer bei mir auf dieser Reise. Ich will die letzten paar Tage alleine sein. Natürlich ist das Quatsch, natürlich geht das nicht, wer kann schon seinem Leben entfliehen? Tja. Irgendwie will ich so tun als ob. Aber ehe ich jetzt noch mehr Müll schreibe, höre ich lieber auf. Scheiße, jetzt denke ich, dass dir am Ende etwas passiert ist, während ich … Aber es hilft nichts, ich musste dir das schreiben.
Lara, ich liebe dich, aber ich weiß gerade nicht, für was das reicht.
Bis bald,
David“
Es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg, den Boden, auf dem sie bis vor kurzem noch selbst getanzt hat, als bestünde er aus wattigweichen Wolken im Nirgendwo. Jetzt ist da nichts mehr, nur endlose Leere und tausend Fragen und, ja, auch die Ahnung einer Freiheit, nach der sie manchmal geglaubt hat, sich zu sehnen. Aber plötzlich schmeckt diese so bitter nach vergifteten Früchten, dass ihre Zunge taub wird davon.
Kapitel 18
Übergänge
D ie Jahre vergehen und David bleibt. In ihrem Herzen und Leben. Irgendwann zieht Lara mit ihm zusammen, obwohl sie beide das nie angestrebt hatten. Obwohl sie hingen an ihren Räumen für sich allein. Aber wie das Leben so spielt – als Sanne und Miro die Stadt verlassen und deren Wohnung frei wird, können sie nicht anders als zuzugreifen. Zu günstig und zu schön sind die dreieinhalb Zimmer mit dem riesigen Balkon, der beinahe einer Terrasse gleicht. Haben Lara und David Angst vor der Nähe? Ja. Doch das Zusammenleben funktioniert erstaunlich gut. Sie beziehen jeder ein eigenes Zimmer und besuchen einander dort voller Freude über die andere, die vertraute und fremde Welt. Der gemeinsame Wohnbereich mit den riesigen Sitzkissen und dem niedrigen Tisch wird zum Zentrum ihrer nächtlichen Diskussionen, die nicht abreißen, auch nach Jahren nicht. Wenn Tränen fließen und Türen knallen, dann meist, weil sich
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