Die andere Haut: Roman (German Edition)
Tanzfläche und draußen im Garten herum.
„David ist ein Hundeschwein!“, brüllt Linus, der fünfjährige Sohn seiner ältesten Schwester Nora und läuft kichernd davon.
Sein Onkel folgt ihm mit gespielter Wut. „Uuuaaah, na warte, das nimmst du zurück!“
Linus zitternd und lachend: „Nein, nein, nein!“
David, der sich auf ihn stürzt: „Ich beiß dich, du wirst schon sehen, ich bin ein Monster!“
„Hundeschwein!“ Ängstliches Kichern, erneut.
„Ein MOOOONSTEEER!“ David rollt die Augen und beinahe glaubt sie, dass er es könnte. Feuer spucken oder wachsen, bis er so groß wäre wie ein Berg.
„Hilfe!“ Linus versteckt sich hinter ihr. Krallt ihr die kleinen Hände ins Bein, während David grunzend und brüllend vorgibt, ihn zu suchen. Lara streicht dem Kleinen durch die Locken. Wie Seide, das Haar.
Das erste Mal diese Ahnung: Das könnte es sein, was sie will, vielleicht doch. Vorbei, das Schmetterlingsleben. Sie sträubt sich gegen das Ankommen, dabei geht es vielleicht doch nur ums gemeinsame Reisen. Und wenn die letzten Jahre wie im Flug vergangen sind, warum nicht auch die nächsten? Warum nicht mit einem Kind oder auch einem mehr? Wäre sie eine gute Mutter? Wer weiß.
Den Brautstrauß fängt eine andere, das wäre es jetzt noch gewesen! Lara lacht. „David?“
„Was?“
„Ich liebe dich!“
„Ich liebe dich auch.“
Kapitel 17
Alles auf Anfang
S ie haben ihre Körper aufgerieben aneinander in der letzten Nacht, bis sie nicht mehr konnten. Und dann doch wieder, obwohl es war, als stoße er seinen Schwanz in eine klaffende Wunde. Laras Wunde, ihr heißes, pochendes, offenes Geschlecht. Obwohl ihre Körper müde waren und schwer und verklebt, obwohl sie glaubten, bereits alles voneinander gekostet zu haben, ausgesaugt, aufgenommen, wieder und wieder, fanden sie keine Ruhe. Der Mond schien ins Zimmer und ließ sie nicht schlafen. Diese Nacht, unsere Nacht!
Alles brennt, tut weh und schmeckt dabei doch so unendlich süß. Die Haut, die Seele, das Denken. Alles eine zähe, klebrige Masse wie Zuckerguss oder Melasse, nur blutiger und heißer, durchzogen von Leben, Lust und Rausch, ein wenig auch schon von dem Kater danach.
In drei Stunden fährt Ricardos Bus.
Er fühlt sich schuldig. „Ich liebe Malin.“
„Ich weiß.“
„Aber …“ Ihm fehlen die Worte.
„Es hat sich nicht falsch angefühlt.“
„Nein. Hat es nicht. Gar nicht. Nur jetzt … Es ist, als wache ich auf.“ „Wirst du es ihr sagen?“ Er denkt nach. Knetet seine Hände, setzt an etwas zu sagen und verwirft es wieder. Dann: „Ich glaube nicht. Es wäre … Ich weiß nicht. Und du, erzählst du es David?“ „Ja.“
Lara sieht ihm an, dass er sie für verrückt hält. David womöglich noch mehr. Ein Mann, der seine Frau mit einem anderen schlafen lässt, passt noch weniger in Ricardos Weltbild als sein eigenes Tun. Sein eigenes Verlangen nach einer anderen Haut. Und das Nachgeben. Sein Brennen für Lara. Sie küsst ihn auf den Mund, er zieht sie an sich, doch danach sieht er sie an wie eine Fremde.
Gott, ich bringe seine Welt durcheinander, habe ich dazu das Recht?, denkt Lara. Aber er schien es gewollt zu haben. Was sie wohl von Malin unterscheidet? Dass die geblieben ist. Und sonst? Hat Lara Schuldgefühle gegenüber der schönen, herzlichen Schwedin? Hat sie? Kaum. Sie fühlt sich seltsam frei und mit ihr verbunden. Als habe Malin längst ihren Segen zu dieser Liebe gegeben, zu Ricardo und Lara, dieser Liaison fernab von alltäglicher Wirklichkeit.
Jetzt verbiege ich mir die Wahrheit, schimpft sie sich kurz, jetzt mache ich meine Wahrnehmung zu Malins, dabei steckt nicht umsonst das Wort „nehmen“ darin. Ich kann nichts wahrgeben, so viel Verschmelzung funktioniert beim besten Willen nicht, niemals! Nicht einmal beim Liebesakt, höchstens als Illusion. Kurz erfasst Lara ob dieser Erkenntnis eine heftige Traurigkeit, die sie so nicht erwartet hat. Doch dann gibt sie sich wieder hin in den Moment, den sie ersehnt hatte, lässt sich hineinfallen in das, was sich so echt anfühlt, wie es echter nicht sein kann. Liebe. Was heißt schon Illusion? Realität ist immer ein Konstrukt, nicht wahr? Das hier ist das ihre.
Lara bringt Ricardo zum Bus. Die letzte Umarmung ist von seltsamer Schlichtheit. Nicht so förmlich wie am Tag seiner Ankunft und doch – Lara fühlt, dass er sich wieder von ihr entfernt. Sie möchte die ganze Wucht der letzten 48 Stunden in diesen Abschied legen. Leben, Leben, Leben, Liebe und
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