Die andere Haut: Roman (German Edition)
Masse, sondern wie Sand aus Juwelensplittern. Millionen von glitzernden Körnchen und Scherben, die sich ineinander verhaken, aneinander reiben, und wann immer sich jemand anschickte, sie zu sortieren, käme ein Windstoß, der sie wieder vereinigte, durcheinanderwirbelte und verstreute im Moment und einer allumfassenden, alles verschlingenden Unendlichkeit.
Jetzt liegen sie nebeneinander, so leer und so fremd, und sie schmiegt sich in seine Armbeuge, legt die Hand auf seinen schlafenden Schwanz, ohne sie zu bewegen. Nur nicht die Sekunde verpassen, in der er sich wieder regt!
So dösen sie ein.
Im Halbschlaf dann spürt Lara Ricardo erneut, und für Sekunden ist es der ersehnte Rausch. Sie drängen einander entgegen, mit ihren Zungen und Händen und Körpermitten, so suchend, so sehr. Die Nacht vergeht weiter, mal schlafen sie, dann weckt einer den anderen, damit sie wieder und wieder voneinander trinken, einander spüren und riechen und schmecken. Es bleibt ein süßer Durst, die Erschöpfung, die Vorfreude auf die kommenden Stunden und die Angst vor dem Danach.
Am nächsten Tag schwimmen sie zusammen im Meer, küssen einander das Salz von der Haut. Wie befreit nimmt Ricardo plötzlich entgegen seiner Gewohnheiten in der Öffentlichkeit ihre Hand, und dass es vielleicht einer Lüge gleicht, ist ohne Bedeutung. Die Stunden vergehen schnell und leicht mit Schwimmen und Wandern, Lachen und Essen, Küssen und Tanzen. Es ist, was es ist, zwei Liebende in der Sonne.
Kapitel 16
Für immer
N ach dem Ende ihres Studiums zieht es Lara noch einmal zurück in Ricardos Land, zusammen mit David. Sie will ihm zeigen, wo sie wurde, wer sie ist, so fühlt es sich an, ein Finden, eine zweite Geburt. Pathetisch? Übertrieben? Und wenn schon. Schwitzt mit ihm im Dschungel, tanzt in den Bars und fällt ihm in den Bergen höhenkrank in die Arme.
Ricardo trifft sie allein, an einem Nachmittag. Er kann nicht fassen, dass sie gekommen ist, mit einem Mann an ihrer Seite, dass sie trotzdem mit ihm hier sitzt im Café. Dass der Mann, David, von diesem Treffen weiß.
„Hast du ihn angelogen? Über das, was war zwischen uns?“ „Nein. Das weiß er.“
„Warum lässt er dich zu mir?“
„Aus Liebe?“
„Ihr seid verrückt.“
„Etwas freier vielleicht, als du es kennst.“
„Seid ihr alle so in Deutschland, ist das normal?“ Sie überlegt. „Nein, nicht ganz.“
„Nur ihr beide?“
„Sieht so aus. Na ja, nicht nur.“
Dann ist da diese Träne in seinem Augenwinkel. „Ich dachte, wir sehen uns nie wieder.“
„Hast du das gehofft?“ Bemüht scherzhaft, mit einem halben
Grinsen, doch etwas in ihr zieht sich zusammen, erstickt. Kein Lächeln. „Ich kann das nicht so. Komm nur noch mal zurück, wenn du frei bist, ja? Wenn du keinen anderen liebst. Versprich mir das.“
Meint er das ernst, jetzt, nach drei Jahren? Plötzlich fühlt sie sich schäbig. Sie hat ihm nie geglaubt. Nur für Sekunden, vielleicht Tage. Meist in dem Bewusstsein: Alles nur ein Traum! Doch einen Augenblick ist er nun plötzlich da, dieser Impuls, warum nicht jetzt, stell dein Leben auf den Kopf, bleib hier, für immer, sag es ihm, ergreif eure zweite Chance, sofort. Sie verwirft den Gedanken. Wie albern, David ist der, den sie will. „Ich kann das nicht versprechen“, flüstert sie.
„Sag es mir das nächste Mal gleich. Am Telefon, in der Mail.
Dann kann ich selbst entscheiden, ob ich dich sehen will.“ „Okay.“
Zwei Stunden sitzen sie noch da und reden. Über die Lehrer an der Sprachschule, Ricardos Nichten und Neffen und die bevorstehende Hochzeit von Davids Schwester Miriam. Nur dass Lara behauptet, Miriam sei eine ihrer Cousinen. Weil sie Ricardo nicht noch mehr verletzen will, als sie es vielleicht schon getan hat. Warum hat sie das nicht geahnt? Oder irrt sie sich, und es geht lediglich um Stolz und Moral? Er ist so anders als sie, das spürt sie plötzlich stärker als je zuvor. Braucht Regeln und Grundsätze, an denen er sich festhalten kann. Fällt nicht gern auf, obwohl er es immer tut, weil er so groß und kräftig ist, so viel größer als die meisten in seinem Land. Dann eine Umarmung und das Gefühl: Diesmal ist es für immer vorbei.
Eine Woche nach ihrer Rückkehr schließlich Miriams Hochzeit. Im Grünen, auf dem Land, die Braut ist schön, wie es sein soll, mit cremefarbenem Kleid und Blumen im Haar. Sogar die Sonne scheint.
David mit Kindern im Arm und auf allen vieren. Er tollt mit den Kleinen über die
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