Die Angst der Boesen
blickte,aus der ihr bester Freund kommen musste, hatte einen anderen Grund. Seine Mitteilung, die Stimmung in der Clique sei schlecht, beunruhigte sie.
3
Tatjana schob sich das letzte Stück Schokoriegel in den Mund, doch der bittere Geschmack verschwand nicht. Zu den Gewissensbissen, die sie Lilly gegenüber hatte, kam der Frust über ihr Gewicht. Den zweiten Schokoriegel hätte sie sich echt verkneifen können. Aber dieser Abend war so bescheuert, dass sie es einfach nicht schaffte, ihre ätzende, aber bitter nötige Diät durchzuhalten. Als sie jetzt sah, dass Paul schon wieder eine SMS schrieb, gab sie sich auch keine Mühe mehr, ihre schlechte Laune für sich zu behalten.
»An wen schreibst du?«, fragte sie, machte ihren Hals so lang wie möglich und schielte auf sein Handy. »Lass mich raten, an Lilly. Wie lange habt ihr euch jetzt nicht gesehen? Zwanzig Minuten?«
»Nerv mich nicht, Tatjana.«
»Au, was schubst du mich?« Ihr war nach Stänkern und da passte es ihr gut, dass Leon ihre Beschwerde hörte, sich hilfsbereit umdrehte und, ohne nach links und rechts zu gucken, auf sie zuwankte. Zum Glück war um diese Zeit kaum noch Autoverkehr.
»Paul, pass auf«, sagte Leon mit schwerer Zunge.
»Was denn? Ich wehre mich nur. Deine Freundin ist furchtbar neugierig.«
»Sind Frauen immer.« Leon hatte eine Bierfahne. Schwungvoll legte er Paul den Arm um die Schultern, machte ein paar schnelle, ruckartige Schritte vorwärts auf den Bürgersteig und ließ sich mit ihm gegen einen der Backsteinpfeiler kippen,die das Tor zu einem Friedhof einrahmten. »Und, was ist mit meiner Stiefschwester, Paule?« Der Themenwechsel war genauso unvermittelt wie seine Bewegungen. »Ist Lilly wieder am Zicken?«
Tatjana nickte, obwohl sie wusste, dass Lilly allen Grund hatte, wütend zu sein: nämlich auf sie und ihr blödes Plappermaul.
Sven und Ilkay, die am Eingang gewartet hatten, gaben ein paar glucksende Lacher von sich. Ilkay hatte die Tüte mit Getränken abgestellt, war auf die Querverstrebungen des schmiedeeisernen Tors gestiegen und rüttelte daran, um etwas hin- und herzuschwingen. »Lilly hat doch immer Stress mit sich selbst«, behauptete er.
»Quatsch. Ich hab’s euch heute Morgen schon gesagt«, rief Sven, »Lilly braucht wieder ’nen ganzen Kerl, nicht so ’ne Gurke wie Paul, der besorgt’s ihr nicht richtig.«
Tatjana sah, wie Paul eine Faust ballte – nur eine und die hatte er noch hinter dem Rücken versteckt. Er würde es nicht bringen, sich mit Sven anzulegen, denn Sven war gefährlich, auch wenn er nicht so viel getrunken hatte wie jetzt. Nicht nur, dass er kräftig und durchtrainiert war, er war auch skrupellos. Sie hatte mal gesehen, wie er sich nach einem Fußballspiel mit einem gegnerischen Fan geprügelt hatte. Der andere war sicher nicht schwächer gewesen, hatte aber den Fehler gemacht, auf Fair Play zu setzen, was Sven nicht tat: Plötzlich war da das Messer in seiner Hand gewesen und der andere hatte schnell klein beigegeben.
Wenn Tatjana ehrlich war, hatte sie selbst manchmal Angst vor Sven und konnte überhaupt nicht nachvollziehen, wie sich Lilly vor einer Weile mit ihm hatte einlassen können. Sven sah nicht mal gut aus, seine aschblonden Stoppelhaare waren so farblos, dass sie sich kaum von der Gesichtshaut unterschieden, und obwohl er bestimmt viel Krafttrainingmachte, konnte man bei ihm schon den Ansatz des gleichen imposanten Bierbauchs sehen, den sein älterer Bruder vor sich hertrug. Ilkay zum Beispiel mit seinen wuscheligen dunklen Haaren und dem großen, schlanken Körper war viel attraktiver, selbst der dürre Paul und der segelohrige Levent machten mehr her, weil sie auf angesagte Klamotten achteten. Das Geld dafür stammte bei Levent allerdings aus unklaren Quellen. Während Paul einfach die liebe Mami anpumpte, musste er sich etwas einfallen lassen. Zwar schob Levent auch Einkaufswagen beim Großmarkt, aber daneben kam er auch illegal an Geld. Irgendeiner schuldete ihm immer was, angeblich nur für kleine Gefälligkeiten wie aus dem Internet runtergeladene Kinofilme. Tatjana traute außer Leon keinem der Jungs. Doch berühmt-berüchtigt fürs Abziehen schwächerer Schüler war nur Sven, und der war obendrein noch geschmacksverkalkt und hässlich.
Trotzdem war ihre Freundin ausgerechnet mit Sven gegangen.
»Sex Wochen lang«, wie der gerne herumtönte. Zu Tatjana hatte Lilly nur gesagt, Sven sei für sie wie ein kleiner Pitbull und auf diese Rasse sei sie nun mal
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