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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Paul ab und baute sich neben Leon vor dem Sitzenden auf. Eine Sekunde überlegte Paul abzuhauen; Tatjana hatte ihm quasi den Weg frei gemacht. Aber er war immer noch wie erstarrt.
    »Jetzt geht dir der Arsch auf Grundeis, was?«, rief Sven. »Du tatscht hier kein Mädchen mehr an, ist das klar?!«
    Von dort, wo er stand, konnte Paul nicht genau sehen, welche Geste der selten dämliche Penner machte. Er hörte ihn nur »Klar, Chef« sagen, mit dünner Krächzstimme zwar, aber trotzdem so provozierend, dass Leon brüllte: »Verarsch uns nicht, du Wichser!«
    Tatjana lachte hysterisch auf. »Leon, ich liebe dich.« Sie eilte zu ihm und umklammerte seinen Arm, kuschelte ihren Kopf an seine Schulter und sagte: »Gib’s ihm, er hat mich total erschreckt!«
    Leon zog lautstark Rotz hoch und spuckte auf den Mann am Boden.
    »Gut so, Bär«, sagte Tatjana zufrieden und warf Paul dann einen Blick zu. Dies war seine letzte Fluchtmöglichkeit.
    Leon hatte fürs Erste Dampf abgelassen, der Penner würde sich jeden Augenblick davonmachen, sie würden ihm alle noch ein paar Schimpfworte nachrufen. Danach würde sich Sven wieder ihm zudrehen, und was schon so lange schwelte, würde endgültig eskalieren.
    Da aber bückte sich Ilkay zu dem Mann hinunter und rief überrascht: »Hey, guckt mal, was der hier hat! Ich fass es nicht, das neuste Modell, schweineteuer.«
    Der Penner protestierte und schlug mit dem Arm nach Ilkay, war aber chancenlos: Im nächsten Moment hielt der dessen Handy wie eine Trophäe am ausgestreckten Arm nach oben.
    »Zeig her«, befahl Sven Ilkay und nahm das Handy. »Alter, ey, das ist doch nicht deins, du Opfer. Du besitzt doch gar nichts, du kannst doch nix und hast doch nix, du hast das Handy doch geklaut. Gibt’s das, Leute, ich vermisse mein Handy und was finde ich hier?«
    Sven wird doch nicht im Ernst glauben, dass das sein Handy ist, dachte Paul, das wäre ja total hirnverbrannt. Doch sofort wurde ihm klar, dass es gar nicht darum ging. Dies hier hatte eine andere Logik. Es ging darum, endlich anzufangen, endlich auf jemanden loszugehen, endlich mal richtig gegen den Ball zu treten – der allerdings kein Ball war, sondern ein am Boden liegender Mensch. Ein noch perfekteres Opfer als Paul.
    »Du Haufen Scheiße«, brüllte Sven, »du machst unsere Frauen an und klaust unsere Handys?«
    Wie schnell aus einem einzigen kleinen Missverständnis ein Plural werden konnte und wie schnell aus einem Täter mehrere wurden. Leon und Ilkay machten sofort mit, sie beschimpften und traten den Obdachlosen, während Paulimmer noch wie gelähmt an dem Grabstein stand und Tatjana ein paar Schritte zurückwich und irritiert an ihren lackierten Fingernägeln kaute.
    »Scheiße«, sagte sie leise zu Paul, aber sie griff genauso wenig ein wie er selbst.
    Wenn ich jetzt dazwischenginge, dachte Paul, wäre es, als würde ich meinen Arm zwischen sich zerfleischende Rottweiler halten. Wenn ich jetzt versuchen würde, einen von ihnen festzuhalten, würde der erste Ellbogen mir die Wangenknochen brechen, der zweite Tritt in meinem Magen landen, der dritte in den Eiern und der vierte träfe mich wohl schon im Liegen und mein Kiefer wäre dann auch Matsche. Unmöglich, dachte Paul, hier kann niemand etwas tun.
    Es sei denn ... seine rechte Hand umklammerte sein Handy. Sollte er?
    Unentschlossen blickte er auf die prügelnden Jungen. Er sah ihre Bewegungen, die leicht und ohne Zögern kamen, als wären sie seit Langem eingespielt. Sie mussten diese Bewegungen in Tagträumen, vorm Spiegel oder dem PC einstudiert haben – oder sie waren Naturtalente der Gewalt. Paul sah sie wieder und wieder rückwärtstänzeln, Anlauf nehmen, zutreten. Sogar Leon hielt trotz seines Alkoholpegels die Balance und trat zielsicher zu.
    Der, der unten lag, zuckte. Paul sah seine schmutzige Hand, wie sie sich schützend hob und gleich darauf gekrümmt neben dem Körper lag. Er hörte das Stöhnen des Mannes, das Keuchen der Jungs, das Knirschen des Kieses unter ihren Schuhen. Er wusste, der Kies war das wenigste, das unter den Tritten knackte, krachte.
    Er hielt sich eine Hand vor den Mund, fühlte unter der Haut die Zerbrechlichkeit des eigenen Gesichts.
    Er roch Erbrochenes.
    Genau in dem Moment, als der üble Gestank sich ausbreitete, hielt Sven inne, drehte sich zu Paul um und gab ihm den vollen Blick auf das besudelte, blutende Etwas frei.
    »So«, sagte er, »jetzt zeig mal, dass du zu uns gehörst.«
5
    Gerd hatte versprochen zu warten, bis sein

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