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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Sohn ihn anrief. Mit allem sei er einverstanden, hatte Martin gesagt und die Hand zum Schwur erhoben. »Du bist der Boss. Aber den Zeitpunkt, wann’s losgeht, den bestimme ich. Drängeln lass ich mich nicht.«
    Dieses Detail konnte den ganzen Plan kippen. Wenn Martin den Zeitpunkt bestimmte: Wann sollte der sein? In drei Monaten oder drei Jahren? Noch einen Abend einen draufmachen, dann ändere ich mein Leben, und wenn nicht morgen, dann übermorgen?
    Darauf war kein Verlass.
    Also hatte er gegengesteuert, hatte Martin ein Limit gesetzt. Bis Samstagabend habe er Zeit, sich am Grab seiner Freundin von seinem alten Leben zu verabschieden, am Sonntag würde er ihn mit dem Auto abholen und Montagmorgen in die Klinik bringen.
    »Das ist das letzte Zugeständnis, das ich dir mache«, hatte Gerd resolut gesagt und mit Genugtuung gesehen, dass Martin erschrak. Er hatte es schon immer gern gehabt, wenn der vor ihm kuschte. So gehörte es sich schließlich auch.
    Doch anscheinend war Martins Schrecken nicht groß genug gewesen. Der Junge rebellierte mal wieder und meldete sich nicht.
    Schon den ganzen Samstagnachmittag über war Gerd deswegen unruhig gewesen, hatte es aber noch halbwegsgeschafft, sich abzulenken, indem er ins Hallenbad gefahren war. Während er wie jeden Tag kräftig seine Bahnen schwamm, hatte er wieder Zuversicht gespürt. Martin würde sich melden. Er war am Ende und hatte keine andere Möglichkeit, als seine Hilfe anzunehmen. Gerd hatte euphorisch das Tempo gesteigert, bis Zentimeter von seinem Kopf entfernt ein massiger Körper einschlug. Im nächsten Moment war sein Mund voll chlorhaltigem Wasser. Aus dem Rhythmus gekommen, trudelte er und zog sich spuckend und fluchend die Schwimmbrille vom Kopf. Natürlich: einer der hoffnungslos überfetteten Jungen in knielangen, ungewaschenen Badeshorts.
    Wütend auf die Bademeister, die sich um nichts kümmerten, wütend auf die Jugendlichen, die kein Fünkchen Verstand hatten oder einfach keine Rücksicht nehmen wollten , und wütend darüber, dass er so einem nicht einfach die Nase brechen konnte, hatte er sein Training abgebrochen.
    Zu Hause hatte er wieder auf Martins Anruf gewartet. Mit dem Telefon direkt vor sich hatte er ferngesehen, geraucht, gegrübelt und einfach nur dagesessen, bis die Abendsonne dem kahlen Raum einen orangewarmen Anstrich verlieh. Da hatte er zum ersten Mal das Mobilteil in die Hand genommen und überlegt, selbst anzurufen.
    »Gib ihm noch eine Stunde, vielleicht steht er gerade am Grab«, hatte er sich dann aber ermahnt. Er wollte ja jetzt ein guter Vater sein, tolerant und verständnisvoll. Doch bei dem Gedanken an Marie hatte er schon wieder böse mit den Zähnen geknirscht. Einerseits war es gut, dass sie tot war – endlich waren sie die kleine Hexe los –, andererseits hatte der Verlust Martin ganz in den Abgrund gerissen.
    Er sah wieder auf die Uhr: gleich neun. Draußen war es mittlerweile dunkel. Martin konnte sich unmöglich nochauf dem Friedhof herumtreiben. Er war zwar alkoholkrank und hatte eine Zeit lang an der Nadel gehangen, aber er war kein gestörter Grufty.
    Gerd war kein Mann, der sich verarschen ließ. Er würde Martin jetzt anrufen.
    Als das Freizeichen ertönte, spürte er, wie aufgeregt er war. So viel hing davon ab, dass er Martin in die Therapieeinrichtung brachte. Seine Ehe, Martins Leben und nicht zuletzt sein eigenes. Endlich wollte er mal etwas richtig machen.
    Jetzt tat sich etwas, ein Klacken im Hörer. Er atmete tief ein, auf alles gefasst. Im nächsten Moment sagte eine forsche Stimme: »Polizei!«
    Das war nicht Martin. Martin musste bei der Polizei gelandet sein, war vielleicht als hilflose Person aufgegriffen worden und saß in einer Ausnüchterungszelle; sein Handy hatte man ihm offenbar abgenommen. Gut. Wenn er noch einmal richtig abgestürzt und nun auf der Wache war, konnte das sogar sehr gut sein. Martin würde einsehen, wie dringend er Hilfe brauchte, und die Beamten konnten ihn so lange festhalten, bis er ihn abholen kam.
    »Hier ist ...«, begann Gerd seinen Satz, wurde aber unterbrochen und merkte, dass etwas entsetzlich schieflief. Der vermeintliche Beamte meldete sich jetzt überdreht und unangenehm frech: »Polizei, hier ist die Polizei.«
    Irritiert schwieg er. War das ein Polizist? Das klang nach einem ganz jungen Mann, einem Ausländer. Der türkische Akzent war unüberhörbar. Wo immer der war, mussten mehrere Personen zusammen sein. Außerdem befanden sie sich im Freien: Er hörte

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