Die Angst der Boesen
verabredete. »Nimmst du die jetzt oder nicht?«
»Nimm du sie, Ebru. Ich überlasse sie dir, kannst dann gleich deine Freundin verschönern.«
Ebru lachte ironisch, Hatice schimpfte auf Türkisch. Frau Hoffmann forderte Hatice auf, Deutsch zu sprechen, wurde aber ignoriert. Lilly fand das ausnahmsweise in Ordnung. Es ging die Hoffmann wirklich nichts an, wenn man schlecht über sie redete. Die Hoffmann war eh nervig genug, gab sich schülernah bis zum Erbrechen und kam auch jetzt hinter ihr hergedackelt, um zu fragen, ob mit Lilly alles in Ordnung sei.
»Sicher«, antwortete Lilly achselzuckend und holte ein Zigarettenpäckchen aus ihrer Jackentasche. Dabei raste ihr Herz noch vor Wut, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Frau Hoffmann blickte auf ihre fahrigen Finger, als Lilly sich die Kippe ansteckte.
»Möchten Sie auch eine?«, fragte Lilly.
»Gerne.«
Sie rauchten. Lilly blickte suchend die Straße hinunter. Sie hoffte, die Lehrerin würde verschwinden, aber das tat sie nicht.
Silke Hoffmann blickte sie an. »Wartest du auf wen?«
»Auf Paul.«
»Deinen Freund.« Das war halb als Frage formuliert.
»Ja. Aber einfach nur so: Freund. Nicht, was Sie jetzt denken.«
»Ich denke gar nichts. Stimmt das denn, was die Mädchen sagen?«
»Ach, Quatsch«, schrie Lilly. »Die bilden sich das doch nur ein, weil sie verklemmt sind, weil sie nicht emanzipiert sind, deshalb.«
Die Lehrerin seufzte. »Aber das sind nette Mädchen, besonders die Ebru. Es ist schade, dass du dich nicht mit ihnen anfreundest.«
»Ach ja, wie soll das denn gehen?«
»Versuch’s einfach. Bemüh dich, nicht immer gleich so aggressiv zu werden. Du hättest nicht mal Tatjana zur Freundin, wenn die nicht mit Leon zusammen wäre.«
Damit traf die Hoffmann einen sehr wunden Punkt. Lilly wurde noch wütender. Die Lehrer machten einen aggressiv, die waren das Problem. Bekloppte Besserwisser! Was bildete eine Tusse wie die Hoffmann sich ein? Hatte die etwa was erreicht in ihrem Leben? Keinen Mann, keine Kinder, keine Courage, um sich gegen die Jungs in der Klassedurchzusetzen. Die durfte ihr maximal Englisch beibringen, ansonsten hatte sie sich aus ihrem Leben rauszuhalten.
»Warum freunden Sie sich nicht mit denen an?«, keifte Lilly und fügte leiser, aber deutlich fieser hinzu: »Wissen Sie, was ich abartig finde? Dass Sie sich von Levent befingern lassen.«
Treffer! Frau Hoffmann wurde tiefrot bis runter zum Hals. »Das war Spaß. Du weißt doch: Gerade Levent und Ilkay sind wie große Kinder.«
»Und der Exfreund meiner Mutter war der Papst.«
»Es war Spaß , Lilly.«
»Klar doch.«
Tausend Sachen wurden Spaß genannt, obwohl sie alles andere als das waren. Natürlich hatte Lilly nicht mit Levent geschlafen. Sie mochten sich und frotzelten oft miteinander rum, mehr aber auch nicht.
Einmal, als sie zu dritt – Sven, Lilly und Levent – tanzen gewesen waren, hatte Sven groß rumgetönt, dass er Levent erlauben würde, seine Freundin auch mal geil abzuknutschen. Außer einem albernen Kuss und einem kaum ernst gemeinten Griff an die Brust war aber nichts daraus geworden; das Foto, das Sven gemacht und rumgezeigt hatte, vermittelte einen ganz falschen Eindruck. Es machte Lilly zum Gespött. Spaß hieß also meist: Spaß für die anderen.
Am Ende der Straße zeichnete sich jetzt eine Gestalt ab, die schnell näher kam. Jemand rannte, ein Junge mit schwarzen Haaren und hellem T-Shirt.
»Wenn du jemanden zum Reden brauchst, Lilly –«
»Danke. Nein.« Sie lief einfach los und fiel ihm um den Hals. »Paul! Endlich. Was? Was ist das denn? Du bist ja voller Blut.«
»Sei still.« Paul zog sie an sich, hielt ihr den Mund zu. »Das darf keiner mitkriegen.«
In großem Bogen ging er mit ihr an Frau Hoffmann vorbei. Das Blut an seinem T-Shirt war noch frisch und feucht. Es verschmierte Lillys Gesicht.
Sie überquerten den Hof hinter der Jugendherberge und liefen die Stufen zum Kellereingang hinunter. Links und rechts neben dem Geländer wuchsen Büsche, sodass sie vor Blicken geschützt waren. Außer Atem sank Paul auf die rissigen Steinplatten vor der Kellertür, Lilly immer noch neben sich.
»Mannomann, das war heftig.«
»Was ist passiert?«, fragte Lilly und suchte seinen Kopf nach Verletzungen ab. Blut klebte Paul an Nase und Kinn, im Haar waren weißer Staub und winzige Kiessteinchen. Er roch auch unangenehm säuerlich, als ob er sich erbrochen hätte. »Mist, ich habe kein Taschentuch dabei.« Mit einer
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