Die Angst der Woche
Grippeepidemie von 1918. Aber schon damals gab es erste Stimmen â etwa den deutschen Arzt Fritz Lickint im Jahr 1929 â, die auch das Rauchen damit in Verbindung brachten. Denn um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war das Zigarettenrauchen vergleichsweise preiswert und für viele Menschen erstmals bezahlbar geworden; von 1907 bis 1935 stieg der Zigarettenkonsum im Deutschen Reich von acht auf 37 Milliarden Stück.
Auch der Erste Weltkrieg war an dieser Steigerung beteiligt â in den Schützengräben Flanderns bekämpfte man den Ekel und den Hunger oft mit einer Zigarette.
Dass diese Explosion des Zigarettenrauchens tatsächlich für die so beängstigende Zunahme an Lungenkrebs verantwortlich zu machen war, fiel als weltweit Ersten verschiedenen deutschen Ãrzten auf. Diese führende Rolle deutscher Wissenschaftler bei dem Nachweis, dass Rauchen Krebs erzeugt, wird in der modernen amerikahörigen Wissenschaftswelt gern verdrängt. Neben Fritz Lickint war es vor allem der Kölner Arzt Franz Herrmann Müller, der in einer auf Deutsch geschriebenen und daher im angelsächsischen Ausland konsequent ignorierten Studie erstmals überzeugende Indizien für diesen Zusammenhang präsentierte, seine Arbeit aus dem Jahr 1939, »TabakmiÃbrauch und Lungencarcinom«, ist die weltweit erste epidemiologische Untersuchung dieser Art und hat Standards gesetzt, die noch heute gelten.
»In der Inneren Abteilung des städtischen Bürgerhospitals in Köln ist in den letzten Jahren eine verhältnismäÃig groÃe Anzahl von Erkrankungsfällen an Lungenkrebs zur Behandlung gekommen«, schreibt Müller in der Zeitschrift für Krebsforschung. »Ein näheres Eingehen auf die Lebensgewohnheiten dieser Kranken brachte die Feststellung zutage, daà ein auffallend groÃer Teil das Rauchen in sehr starkem MaÃe ausgeübt hatte. Nicht selten wurde von den Kranken ein täglicher Verbrauch von 30 â 50 Zigaretten oder entsprechenden Mengen von Zigarren oder Pfeifentabak angegeben.«
Und Müller kam auch den Gründen für die erhöhte Krebsanfälligkeit der Raucher schon sehr nahe: »Das Jahre hindurch fortgesetzte Rauchen, in dessen Folge im Laufe der Zeit eine groÃe Menge von Tabakrauch auf den Organismus einwirkt, führt nach einer bestimmten Zeitspanne zu einer allgemeinen Umstimmung des Organismus, welche die Entstehung des Krebses am Orte der Reizeinwirkung erst ermöglicht. Die Zeitspanne, die zur allgemeinen Umstimmung des Organismus erforderlich ist, ist bei Zufuhr gleicher Tabakmengen für den einzelnen Organismus verschieden groÃ. Hier spielen die physiologischen Abwehrvorrichtungen in der Lunge, besonders die Tätigkeit des Flimmerepithels, eine nicht zu übersehende Rolle. Bei einer mangelhaften Anlage oder durch fortgesetzte Ãberbeanspruchung gestörter Funktion (Raucherkatarrh!) kommt eine Ansammlung der von auÃen in die Lunge eindringenden krebserregenden Stoffe viel leichter zustande als bei normaler Funktion. Der Reiz, den diese Stoffe auf die Schleimhaut ausüben, ist daher viel intensiver!«
Zwar würde heute niemand mehr Müllers These von der »allgemeinen Umstimmung des Organismus« in dieser Form vertreten, aber die Reizung der Lunge durch die Rauchpartikel ist als Auslöser inzwischen akzeptiert. »Trotz des enormen Personalschwundes [durch den Exodus der jüdischen Ãrzte] verzeichnete die deutsche Medizin während der NS-Zeit Erfolge, von denen einige aus heutiger Sicht wegweisend erscheinen«, schreibt der Spiegel , und auch der eine oder andere angelsächsische Medizinhistoriker erkennt heute die einstmals führende Rolle deutscher Ãrzte bei der Suche nach der Ursachen des Lungenkrebses wie auch anderer Krebskrankheiten an.
Und die Nazis reagierten ebenfalls darauf. Schon 1936 klärte das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden in einem illustrierten Merkblatt Frauen über die »Kennzeichen des Krebses« an »Brustdrüse« und »Gebärmutter« auf; deutschlandweit wurden Krebsberatungsstellen eingerichtet, »mit umfassenden Röntgenreihenuntersuchungen versuchten Mediziner, Tuberkulose, Herzleiden und Magenkrebs frühzeitig zu erkennen«. In den Zeitschriften Auf der Wacht und Reine Luft wurde der Tabak zum »Volksfeind« erklärt, und der ehemalige Kettenraucher Hitler lieà ab 1940 nur noch sechs
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